Was die SPD am Integrationsgesetz noch ändern muss
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Historisch oder des Namens unwürdig? Die Geister scheiden sich, wenn es um das sogenannte Integrationsgesetz geht, das die Spitzen der großen Koalition vergangene Woche beschlossen haben. Historisch nennen es die Spitzen von Fraktion und Partei, wenn Thomas Oppermann das Gesetz in die Einwanderungsgeschichte Deutschlands einordnet. Für NGOs wie „Pro Asyl“ ist das Gesetz dagegen nichts weiter als autoritäre Integrationspädagogik.
Integrationsgesetz ist ein Arbeitssieg für die SPD und Andrea Nahles
Die Wahrheit liegt – wie sollte es auch anders sein – in der Mitte. Nüchtern betrachtet, kann man das Gesetz als Arbeitssieg für die SPD verbuchen. Denn die sozialdemokratische Arbeitsministerin Andrea Nahles hat wichtige Fortschritte durchgeboxt, die für die betroffenen Menschen mehr als nur ein paar Zuckerstückchen sind.
Wenn es für Geflüchtete endlich Rechtssicherheit für den Aufenthalt während der Dauer einer Ausbildung gibt und darüber hinaus auch für die Arbeitsplatzsuche oder eine anschließende Beschäftigung, dann hat die SPD viel erreicht. Es stärkt auch die Sicherheit bei Arbeitgebern und eröffnet Geflüchteten neue Perspektiven bei der Ausbildungsplatzsuche. Und wenn die Vorrangprüfung fällt – wenn auch vorerst nur für drei Jahre – und 100.000 zusätzliche Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber geschaffen werden, dann ist das eine deutliche Verbesserung für die Menschen und erleichtert ihre Integration in den Arbeitsmarkt.
De Maizières falsche Behauptungen
Demgegenüber hat die Unionsseite wieder einmal ein paar Brocken in den Gesetzentwurf hineinverhandelt, die am Verstand des Koalitionspartners zweifeln lassen. Kritik gibt es nicht ohne Grund an der Sanktionsdrohung bei abgelehnten Integrationsmaßnahmen. Während die Nachfrage schon jetzt das Angebot bei den Integrationskursen übersteigt, versucht die Union weiter das Bild der hartnäckigen Integrationsverweigerer zu malen.
In diesem Metier der Behauptung falscher Tatsachen ist Innenminister de Maizière schon häufig aufgefallen. 2012 tauchten plötzlich 15 Prozent sogenannter Integrationsverweigerer auf, die der Innenminister nie belegen konnte. Im vergangenen Jahr waren es plötzlich 30 Prozent „falsche Syrer“, die mit gefälschten Pässen nach Deutschland gekommen seien. Es ist schon eine Meisterleistung, dass die Glaubwürdigkeit bei einem Politiker nicht im Keller ist, obwohl er vorsätzlich falsche Zahlen in die Welt setzt.
Die Wohnsitzauflage verhindert Integration
An der Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge gibt es weitere berechtigte Kritik: Europarechtlich ist sie schwierig durchzusetzen und sicher verbessert sie nicht gerade das Integrationsklima. Wurde die Residenzpflicht jahrzehntelang damit begründet, die Menschen fänden bei Aufhebung der Beschränkung nur noch in Großstädten wie Berlin zusammen, zeigt die Realität, wie absurd die Behauptungen waren. Es wäre hilfreich, würden die Befürworter einer Wohnsitzauflage Fakten für den befürchteten „Sturm auf die Großstädte“ auf den Tisch legen, anstatt diffuse Bauchgefühle zu zitieren.
Gelingt es der SPD nicht, die Wohnsitzauflage doch noch aus dem Gesetz herauszuverhandeln, sollten eine starke zeitliche Einschränkung und Ausnahmefälle definiert werden, die integrationsförderliche Rahmenbedingungen wie familiäre Bindungen berücksichtigen.
Es geht um Teilhabe und Vielfalt in Behörden
Trotz der Erfolge geht der Titel des Gesetzes tatsächlich vollkommen am Inhalt vorbei. Integrationsgesetz heißt es hochtrabend, so dass Unwissende schnell dem Glauben verfallen, dass das Vorhaben tatsächlich historisch sei. Denn ein Integrationsgesetz ist längst überfällig für unsere Einwanderungsgesellschaft. Doch die beschlossenen Maßnahmen bleiben nur das nächste Asylpaket im neuen Gewand.
Zeitlich passend haben wir uns als Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in den vergangenen Monaten mit Eckpunkten für ein Teilhabe- und Integrationsgesetz befasst. Angelehnt an die „Integrationsgesetze“ in den Bundesländern Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg geht es dabei u.a. um Teilhabemöglichkeiten von allen Einwohnerinnen und Einwohnern mit Einwanderungsgeschichte, um Interkulturelle Öffnung der Behörden und einer staatlichen Verpflichtung zur Schließung der Repräsentationslücke zwischen der gesellschaftlichen Vielfalt und der behördlichen Einfalt. Das umzusetzen, wäre dann ein tatsächlich historischer Schritt im Einwanderungsland Deutschland.
Das Abfeiern des aktuellen Gesetzesentwurfs in dieser Dimension („historisch“) zeigt aufs Neue ein tiefsitzendes Problem der SPD. Sicher bietet der Entwurf Möglichkeiten, Erfolge aufzuzeigen. Das Übermaß an Feierlaune und die völlig falsche Einordnung in die Erfolgskategorie hinterlässt jedoch das Gefühl, dass hier etwas strategisch verbal aufgebauscht wird. Als gehe es nicht um die tatsächliche Verbesserung der Lebenssituation von hilfesuchender Menschen, sondern allein um die nächste Möglichkeit, sich über die vermeintlichen Erfolge besoffen reden zu können.