Inland

Warum Weiterbildung nicht nur für den Arbeitsmarkt wichtig ist

Qualifizierung ist ein zentraler Aspekt eines Rechts auf eine selbstbestimmte Erwerbs­biografie. Berufliche Weiterbildung sollte deshalb stärker vom Staat gefördert werden – auch aus Steuermitteln.
von Eva Kocher · 28. März 2017
Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik müssen den gesellschaftlichen Rahmen gestalten, in dem Lernen im Lebensverlauf möglich und finanzierbar ist.
Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik müssen den gesellschaftlichen Rahmen gestalten, in dem Lernen im Lebensverlauf möglich und finanzierbar ist.

Die meisten Menschen haben schon öfter davon gehört, dass lebenslanges Lernen wichtig sei. Es wird nun für immer mehr Beschäftigte ernst damit. Denn mit der Digita­lisie­rung sind viele Arbeitstätigkeiten einem grundlegenden Wandel unterworfen: Immer mehr Routinetätigkeiten – auch in der geistigen Arbeit – werden weiter automatisiert. Und das Internet als sozialer Handlungsraum verändert grundlegend Formen der Zusammenarbeit und der Kooperation.

Weiterbildung als Schlüssel zur Erwerbstätigkeit

Damit ändern sich die Qualifikationen, die erforderlich sind, um in der Arbeitswelt nachhaltig bestehen zu können. Für die meisten Beschäftigten ist deshalb Weiterbildung der Schlüssel zu einer nachhaltig die Existenz sichernden Erwerbstätigkeit – und die Basis, auf der sie neue berufliche Identitäten entwickeln können.

Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik müssen den gesellschaftlichen Rahmen gestalten, in dem Lernen im Lebensverlauf möglich und finanzierbar ist. Lösungen für Weiterbildungsinteressen sind nicht leicht zu finden; die einschlägigen Regelungen sind verstreut und lückenhaft.

Warum wir „Agenturen für Arbeit und Qualifizierung“ brauchen

Es wäre deshalb ein wichtiger Schritt, „Agenturen für Arbeit und Qualifizierung“ grundsätzlich die Verantwortung für berufliche Weiterbildung zuzuweisen. Für eine stärkere Bündelung und eine übergreifende strategische Ausrichtung der aktuell mehr als 200 Weiter­bildungs­förderprogramme von Bund und Ländern kann die BA bei entsprechender Kompetenz- und Ressourcenerweiterung einen geeigneten organisatorischen Rahmen bieten.

Das Wissen, wie wichtig die Aufgaben der Arbeitsmarktpolitik in der Qualifizierung sind, war noch im Arbeitsförderungsgesetz von 1969 stark verankert. Es scheint im Zuge der Arbeitsmarktreformen in SGB II und SGB III verloren gegangen zu sein. Eine institutionelle und rechtliche Stärkung der arbeitsmarktpolitischen Aufgaben in der Weiter­bildung sollte aber ein Umlenken einleiten. Es darf nicht mehr Hauptziel der Arbeitsförderung sein, Arbeitslose um jeden Preis unmittelbar in eine Beschäftigung zu vermitteln. Qualifizierungsmaßnahmen sollten nicht nur kurzfristig, sondern im Hinblick auf ihre längerfristigen Wirkungen betrachtet werden.

Unternehmen und Arbeitgeber tragen Verantwortung

Die aktuelle Intransparenz ist zum Teil auch der Tatsache geschuldet, dass viele Akteure auf dem Feld der Weiterbildung aktiv sind. Gegen die Teilung von Verantwortung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, im Gegenteil: Sie ist erforderlich, um die komplexen gesellschaftlichen Anforderungen erfüllen zu können. Für arbeitslose Menschen ist die Arbeitsmarktpolitik hier in der Verantwortung. Die Verantwortung für betriebliche Weiterbildung tragen jedoch die Unternehmen und Arbeitgeber, und an dieser Risikoverteilung muss die Weiterbildungsförderung anknüpfen – schon damit es nicht zu Mitnahmeeffekten kommt.

Die Sozialversicherung kann aber Arbeitgeber und insbesondere überbetriebliche Lösungen, tarifliche Fonds oder regionale Weiterbildungsverbünde finanziell und organisatorisch unterstützen. Die regionalen Selbstverwaltungsorgane müssten darüber hinaus so gestärkt werden, dass sie auch eine Infrastrukturverantwortung für den Markt der Weiterbildungsmaßnahmen wahrnehmen können.

Chancen, aus der berufllichen Sackgasse herauszufinden

Neben der Zuweisung von Kompetenzen und Ressourcen kann die Begründung eines sub­jektiven Rechts für alle Beschäftigten auf Kompetenzfeststellung ein wichtiges Instrument für eine solche Umorientierung werden. Beim Aufbau der ent­sprechen­den Beratungskompetenzen muss Wert darauf gelegt werden, dass gender- und diversitäts­kompetent sowie interkulturell kompetent beraten wird, um aktuellen Spaltungen auf den Arbeitsmärkten besser begegnen zu können, damit alle Menschen die Chance erhalten, aus beruflichen Sackgassen herauszufinden.

Denn Qualifizierung ist ein zentraler Aspekt eines Rechts auf eine selbstbestimmte Erwerbs­biographie – und damit wichtig für die Verwirklichung des Grundrechts der Berufs­freiheit. Bausteinsysteme von Bildung und Weiterbildung, die den Menschen immer wieder berufliche und persönliche Entwicklungs­mög­lich­keiten im Lebensverlauf öffnen, sind dafür hilfreich. Die Finanzierung von Bildung und Weiterbildung muss dies stärker als bisher berücksichtigen.

Es bedarf dafür nicht nur arbeitsmarktpolitischer Instrumente einschließlich offener Förderungen wie Weiter­bildungs­gutscheine. Bildungspolitisch wäre darüber hinaus über ein allgemeines – vom Lebensalter unabhängiges – Recht auf Förderung aus Steuermitteln (entsprechend BAföG) bis zu einer bestimmten Qualifikationsstufe (Bachelor oder Master) nachzudenken.

Autor*in
Eva Kocher

ist Professorin für Bürgerliches Recht, Europäisches und Deutsches Arbeitsrecht und Zivilverfahrensrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

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