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Warum sollten Rentner*innen in der Gewerkschaft sein, Frau Pawlitz?

Anne Pawlitz ist Vorsitzende der Bundesseniorenleitung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Im Interview sagt sie, warum Gewerkschaften auf das Engagement Älterer angewiesen sind und wie die Digitalisierung dabei hilft, sich einzubringen.
von Kai Doering · 3. Mai 2022
EVG-Seniorenvertreterin Anne Pawlitz: die Zeichen der Zeit schon deutlich vor Corona erkannt
EVG-Seniorenvertreterin Anne Pawlitz: die Zeichen der Zeit schon deutlich vor Corona erkannt

Frau Pawlitz, vor einigen Wochen sind Sie erneut zur Vorsitzenden der Seniorenvertretung in der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) gewählt worden. Warum sollte man als Rentner*in der Gewerkschaft sein?

Mit dem Eintritt ins Berufsleben bis zum Austritt aus dem Leben gehört der Mensch in eine Gewerkschaft. Davon bin ich fest überzeugt. Die Gewerkschaft ist eine gesellschaftliche Kraft, wenn sie sich für Gestaltung einsetzt – nicht nur der Arbeitswelt. Gute Tarifabschlüsse sind auch Voraussetzung für gute Renten. Leider werden wir Senioren oft auf die Themen Pflege und Krankheit reduziert, dabei sind viele noch in deutlich besserer körperlicher Verfassung, wenn sie aus dem Berufsleben ausscheiden als es in den Generationen davor der Fall war. Viele sind auch finanziell gut abgesichert, sodass die Voraussetzungen sehr gut sind, sich an der Weiterentwicklung der Gesellschaft zu beteiligen. Nicht umsonst engagieren sich viele Seniorinnen und Senioren ja ehrenamtlich.

Was bedeutet das für Ihr Engagement in der EVG?

Wir Senioren haben in allen Entscheidungsgremien der EVG stimmberechtigte Vertretungen. Wir können uns also jederzeit und überall einmischen und Entscheidungen mit beeinflussen. Das machen wir aktiv in jeder Frage – ob es Verkehrspolitik ist oder bezahlbarer Wohnraum. Nur Senioreninteressen zu vertreten, ist zu kurz gedacht.

Die Bundesseniorenkonferenz Ende März hat erstmals in rein digitaler Form stattgefunden, natürlich wegen Corona. Wie war es, vor Kameras statt vor Delegieren zu sprechen?

Das war sehr merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, in ein schwarzes Loch hineinzusprechen. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und lebe von den Gefühlen, die ich aufnehmen kann. Das ist natürlich sehr schwierig, wenn die Delegierten alle zuhause sitzen.

Sind die EVG-Senior*innen schon im digitalen Zeitalter angekommen?

Ja, auf jeden Fall! Wir haben die Zeichen der Zeit zum Glück schon deutlich vor Corona erkannt. Schon 2017 haben wir damit angefangen, und mit der Digitalisierung unserer Arbeit zu beschäftigen. Das ist ein Thema, das Seniorinnen und Senioren in viele Lebensbereichen trifft. Wer kein Online-Banking macht, muss Gebühren bezahlen, um nur ein kleines Beispiel zu nennen. Deshalb haben wir gesagt, dass wir uns um das Thema kümmern müssen. Über die Bildungsgesellschaft der EVG haben wir Seminare organisiert, um Menschen vor Ort zu qualifizieren. Die haben dann Internetstammtische in ihren Regionen vor Ort organisiert und ihr Wissen dort weitergegeben. Dabei haben wir schnell gemerkt, dass das Interessen riesengroß ist. Von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Senioren sind wir sogar als Leuchtturmprojekt ausgezeichnet worden. Das war natürlich ein zusätzlicher Ansporn, diesen Weg weiterzugehen.

Wie sehr hat die Corona-Zeit und das Abwandern ins Digitale Ihre Arbeit als Seniorenvertretung verändert?

Als Corona kam, waren wir so gut vorbereitet und haben – zunächst telefonisch – einen digitalen Stammtisch ins Leben gerufen, um weiter in Kontakt zu bleiben. Alle zwei Wochen bietet der Bundesvorstand einen digitalen Seniorenstammtisch an, zu dem sich die Mitlieder aus dem gesamten Bundesgebiet zuschalten können, um ihre Fragen zu stellen und Informationen aus erster Hand zu bekommen. Das wissen viele zu schätzen und ich denke, das wird auch nach Corona ein feste Institution bleiben. Der schrittweise Einstieg hat vieles erleichtert. Nichtsdestotrotz war unsere Bundeseniorenkonferenz für manche Delegierte eine Herausforderung, vor allem, weil ja auch gewählt wurde.

Wo erleben Sie Vorbehalte von Senior*innen gegen das Digitale?

Ein gar nicht so seltenes Problem ist tatsächlich fehlende Hardware. Bei unserer Bundesseniorenkonferenz hat die EVG den Delegierten sogar Laptops nach Hause geschickt. Wer Sorgen hatte, dass er nicht zurechtkommt, konnte für die Konferenz auch in eine der EVG-Geschäftsstellen gehen und sich dort von den Gewerkschaftssekretärinnen helfen lassen. Insgesamt ist die Offenheit für das Digitale aber groß. Viele haben ja auch schon in ihrem Berufsleben mit Computern gearbeitet, zumindest zum Ende hin.

Die Digitalisierung ist auch ein großes Anliegen der Bundesregierung. Was wünschen Sie sich da an Unterstützung?

Gemeinsam mit den anderen DGB-Gewerkschaften haben wir im Bundestagswahlkampf klare Forderungen an die Parteien gerichtet. Und es freut mich besonders, dass es der „Digitalpakt Alter“ in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Wir hoffen und wünsche uns, dass der nun auch mit der entsprechenden Finanzierung ausgestattet wird. Wir möchten auf kommunaler Ebene die Möglichkeit für Begegnung schaffen. Wir wollen auch, dass Seniorenheime von Grund auf digital ausgestattet werden. Und wir brauchen Förderprogramme für den Bereich Pflege und Krankheit, da auch dieser immer digitaler wird. Und schließlich wünschen wir uns etwas wie den „siebten Sinn“, der seit den 60ern im Fernsehen lief – allerdings nicht für Verkehrsunterricht, sondern mit Einstiegsmodulen, um die Digitalisierung zu lernen. Wichtig bleibt aber bei allem: Ein analoges Leben muss weiter möglich sein.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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