Warum „Racial Profiling“ rassistisch ist
Köln, Silvesternacht 2015: Es kommt zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch junge Männer aus Marokko, Algerien, Irak, Syrien und Deutschland. Die sogenannten „Migranten ohne Reiseabsicht“, wie es im Einsatzprotokoll eines Bundespolizisten heißt, nutzen die unübersichtliche Lage rund um den Kölner Hauptbahnhof um Frauen sexuell zu belästigen, zu vergewaltigen und zu bestehlen.
Köln, Silvester 2016: Die Polizei twittert unbekümmert hunderte „Nafris“– der polizeiinterne Arbeitsbegriff definiert hiermit junge Nordafrikaner im Alter von 15 bis 25 Jahren, wobei fehlende geografische Kenntnisse der Kölner Polizei Syrien und den Libanon nach Afrika verschoben zu haben scheinen, werden beim Verlassen des Kölner Hauptbahnhofs von Polizeitruppen eingekesselt, kontrolliert oder in Gewahrsam genommen.
Hat die Polizei die richtigen Lehren gezogen?
Fest steht, dass eine Wiederholung der Geschehnisse der Silvesternacht 2015 verhindert werden musste. Unstrittig ist auch, dass es deshalb eines neuen Sicherheitskonzeptes bedurfte. Fraglich ist allerdings, ob die Polizei die richtigen Lehren aus 2015 gezogen hat. Denn Augenzeugenberichte legen nahe, dass die „Klientel“ aufgrund ihres Aussehens ausgesucht wurde. Anders lässt sich nicht erklären, weshalb vor allem junge alleinstehende Männer, die dem „Nafri“-Raum zuzuordnen sind, am Kölner Hauptbahnhof von der Polizei aussortiert wurden. Der geschulte Blick und das Bauchgefühl eines Beamten reichten demnach aus, um herauszufinden, wer klauen oder wer harmlos feiern wollte.
An dieser Informationslage ist in den vergangenen Tagen eine aufgeregte Debatte über die Begrifflichkeit „Nafri“ und das Vorgehen der Polizei in Form von „Racial Profiling“ entbrannt. Den „Arbeitsbegriff“ „Nafri“ kassierte der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies zwar früh mit einer Entschuldigung ein.
Racial Profiling verstößt gegen das Grundgesetz
Der Vorwurf des Racial Profiling ist jedoch schwieriger vom Feld zu räumen, als mit einer einfachen Entschuldigung. Racial Profiling ist eine Form des institutionellen Rassismus und beschreibt die diskriminierende Verwendung von Zuschreibungen wie ethnische Zugehörigkeit, phänotypische Merkmale, nationale Herkunft als Auswahlkriterium für polizeiliche Maßnahmen wie Kontrollen, Überwachungen und Strafermittlungen ohne konkretes Indiz.
Dass dies dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes widerspricht, hat unlängst das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz entschieden. In der Begründung führt das Gericht aus, dass die Polizei bereits gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstoße, wenn der Kontrolle ein Motivbündel zu Grunde liege, in dem die Hautfarbe ein Anknüpfungskriterium unter mehreren sei.
Ohne Minderheitenschutz keine Demokratie
Der Schutz von Grund- und in diesem Fall auch Menschenrechten geht über reine Empathie für diejenigen, die anlasslos wegen Ihres Aussehens kontrolliert werden, hinaus. Man muss nicht tatsächlich schon mal grundlos wegen einer arabischen Zuschreibung von der Polizei auf Drogenbesitz durchsucht oder als Schwarze Deutsche in der Bahn kontrolliert worden sein, um zu verstehen, dass Racial Profiling kein Mittel unseres Rechtsstaates sein darf. Denn allen muss klar sein, dass Demokratie ohne Minderheitenschutz nicht mehr als Herrschaft des Volkes, sondern nur als Diktatur der Mehrheit bezeichnet werden kann.
Die Kritik zum Racial Profiling richtet sich in erster Linie auch an die Politik, die unnötigerweise den Sicherheitsbehörden einen schweren Ermessensspielraum aufs Auge drückt – beispielsweise durch unpräzise Begriffe wie „Lageerkenntnis“ oder „grenzpolizeiliche Erfahrung“ in Paragraf 22 1a des Bundespolizeigesetzes. Diese müssen präzisiert oder untergesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, damit es nicht zu Grundrechtsverletzungen durch Ermessensfehler kommt. Darüber hinaus zeigt gerade der aktuelle Kölner Fall, dass die Einrichtung einer unabhängigen Melde- und Beschwerdestruktur für „Racial Profiling“ notwendig ist.
Die Vorgänge aus Köln müssen überprüft werden
Der Kölner Polizeipräsident scheint klüger zu sein als viele derjenigen, die sich über den Vorwurf des Rassismus aufregen. Er erklärte, es habe kein „Racial Profiling“ der Polizei stattgefunden. Es sei in der Silvesternacht nämlich „nicht um das Aussehen, sondern um das Verhalten der jungen Männer gegangen“. Auch wenn die diskriminierende Vorverurteilung aufgrund der Bezeichnung als „Nafri“, also als nordafrikanische Straftäter, vor der Durchsuchung der Personen benutzt wurde, nehmen wir dem sichtbar sensibilisierten Polizeipräsidenten mit gutem Willen ab, dass er die Strategie korrekter wiedergibt.
Der Vorwurf des Rassismus wäre dann natürlich hinfällig. Aber überprüft werden sollte der Vorgang notgedrungen. Und dass bei Fragen von Grundrechtsverletzungen intensive Diskussionen geführt werden müssen, sollte selbstverständlich sein. In einer Gesellschaft, in der der Zweck jedes Mittel heiligt, landen heute vielleicht nur „andere“ unter Verdacht. Ob es morgen nicht einen selbst trifft, kann niemand ausschließen.