Warum Nordrhein-Westfalen einen Masterplan gegen Rechtsextremismus braucht
„NRW braucht einen Masterplan gegen Rechtsextremismus“, fordert die SPD-Landtagsfraktion in einem Antrag, die Sie am Donnerstag ins Parlament eingebracht haben. Warum braucht das Land so einen Masterplan?
Rechtsextremismus ist breit in unserer Gesellschaft verankert – und zwar nicht erst seit gestern. Ich erinnere nur an die schrecklichen Anschläge in Hoyerswerda, in Mölln oder Solingen vor einigen Jahren und natürlich die Mordserie des NSU. All das war Rechtsextremismus. Mit den Anschlägen von Kassel bis Hanau zeigt er aktuell sein hässlichstes Gesicht. Deshalb ist spätestens jetzt die breite Zivilgesellschaft aufgerufen, sich dem Rechtsextremismus aktiv entgegen zu stellen. Dafür braucht es umfangreiche Maßnahmen von der Ausstattung der Sicherheitsbehörden bis hin zur Bildung. In unserem Entwurf für einen Masterplan machen wir dazu umfangreiche Vorschläge.
In ihrem Antrag schlägt die SPD-Fraktion 55 Einzelmaßnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen vor. Wovon haben Sie sich dabei leiten lassen?
Uns geht es um eine Mischung aus Prävention und Repression. Entscheidend ist die Frage, wie rechtsextremes Gedankengut in die Köpfe der Menschen kommt und was wir dagegen tun können. Deshalb spielt Bildung in all ihren Formen eine wichtige Rolle in unserem Masterplan. Die schwarz-gelbe Landesregierung will zum kommenden Schuljahr das Fach Wirtschaft einführen. Dabei brauchen wir eigentlich das Schulfach Demokratie. Wir fordern deshalb mehr politische Bildung, denn gerade die Schule ist der Ort, an dem demokratische Werte vermittelt werden können. Darüber hinaus brauchen wir aber auch repressive Maßnahmen. Hier setzen wir auf mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz und eine stärkere Beobachtung von Organisationen, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten. Die „Identitäre Bewegung“ muss aus unserer Sicht verboten werden.
Im Antragstext heißt es: „Die Gefahr von rechts ist lange nicht wahrgenommen worden.“ Woran liegt das? Der NSU z.B. hat ja auch in Nordrhein-Westfalen gemordet.
Wahrgenommen wurde vielleicht schon, was da jahrelang passiert ist, aber es wurde verdrängt. Die Anschläge und Morde wurden als Einzeltaten gesehen, obwohl jedem klar sein sollte, dass ihnen eine gemeinsame rassistische Ideologie zugrunde liegt. Mittlerweile werden die Zusammenhänge glücklicherweise auch in der Öffentlichkeit deutlich stärker wahrgenommen, als es in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Beim NSU gab es ganz klare Handlungsempfehlungen des Untersuchungsausschusses, doch die schwarz-gelbe Landesregierung setzt diese nur sehr zögerlich um. Gesellschaftlich gefährlich finde ich es auch, wenn die – absolut notwendige – Bekämpfung der sogenannten Clan-Kriminalität medienwirksam inszeniert wird und Shisha-Bars per se als Orte des Bösen abgestempelt werden. Der Anschlag von Hanau sollte da eine Warnung sein.
Eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus spielen die Sicherheitsbehörden. Die will die SPD „für rechtsextreme Einstellungen sensibilisieren“. Woran denken Sie dabei?
Uns geht es darum, die demokratischen Einstellungen innerhalb der Sicherheitsbehörden zu stärken. In der Vergangenheit gab es vereinzelte Fälle, in denen Mitglieder der Polizei auffällig geworden sind. So etwas darf nicht passieren. Die Sicherheitsbehörden müssen über jeden Verdacht, auch nur im Ansatz rassistische Tendenzen zu dulden, erhaben sein. Ansonsten geht das Vertrauen in sie verloren. Deshalb ist es wichtig, intern zu sensibilisieren, Stichwort Zivilcourage am Arbeitsplatz. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, sensibel dafür zu sein, wann eine Straftat einen rechtsextremen Hintergrund hat. Wenn man z.B. an die Morde des NSU denkt, ist es für mich heute noch unbegreiflich, dass diese lange als Morde im Migrantenmilieu abgetan wurden. Da gibt es noch einiges zu tun.
In ihrem Antrag fordert die SPD-Fraktion auch eine Überwachung der nordrhein-westfälischen AfD durch den Verfassungsschutz. Gibt es dafür ausreichend Anlass?
Ja, den gibt es. In Nordrhein-Westfalen werden rund 1.000 Anhänger des völkisch-nationalistischen Flügels rund um AfD-Politiker Höcke ja bereits seit 2018 vom NRW-Verfassungsschutz beobachtet. Und jetzt hat der Verfassungsschutz den „Flügel“ insgesamt zum Beobachtungsobjekt erklärt. Ein Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion steht zudem unter dem Verdacht, bei der „Identitären Bewegung“ aktiv zu sein. Partei und Fraktion radikalisieren sich zunehmend, sodass ich mich oft frage, wer überhaupt noch zu dem angeblich gemäßigten Teil der AfD gehören soll. Insofern gibt es Anlass genug für eine Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz.
Allgemein gefragt: Wäre es nicht eher die Aufgabe der Landesregierung, einen Masterplan wie Sie ihn erarbeitet haben, vorzulegen?
Eigentlich wäre es das, aber Ministerpräsident Armin Laschet hat ja zurzeit andere Ziele und ist auf Werbetour in der Republik unterwegs. Um die Probleme in Nordrhein-Westfalen kümmert er sich da als Teilzeit-Ministerpräsident offenbar kaum noch.
Sachsen-Anhalt hat bereits und Bremen will den Antifaschismus als Staatsziel in die Landesverfassung aufnehmen. Wäre das auch wünschenswert für Nordrhein-Westfalen?
Ich habe mir genau angesehen, was in Sachsen-Anhalt beschlossen wurde und kann mir so etwas auch gut für Nordrhein-Westfalen vorstellen. Nachdem wir am Donnerstag den Masterplan in den Landtag eingebracht haben, wird er zur Beratung in die zuständigen Ausschüsse gehen. Die SPD-Fraktion plant auch eine große Anhörung mit Sachverständigen. Die 55 Punkte, die wir vorschlagen, sind ja nicht in Stein gemeißelt, sondern sollen noch ergänzt und geschärft werden. Dabei sind wir auf die Erfahrungen und Vorschläge der Zivilgesellschaft angewiesen. Wenn am Ende der Antifaschismus als Staatsziel in die Landesverfassung aufgenommen wird, fände ich das gut. Klar ist: Wir brauchen endlich einen gesellschaftlichen Aufschrei gegen Rechtsextremismus.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.