Inland

Warum Journalisten zur Zielscheibe von Pegida werden

Erst wurden sie als „Lügenpresse“ beschimpft. Dann folgten körperliche Angriffe auf Journalisten. Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands (DJV), Frank Überall, beobachtet die Entwicklung mit Sorge und warnt: „Wer alle staatlichen Gewalten inklusive der Presse ablehnt, ist für die Demokratie nicht mehr zu erreichen.“
von Kai Doering · 18. Dezember 2015
Pegida
Pegida

Wie gefährlich leben Journalisten in Deutschland?

Insgesamt leben Journalisten hierzulande nicht gefährlich – gerade wenn man die Situation mit anderen Ländern vergleicht. In bestimmten Situation beobachte ich allerdings in den letzten Monaten eine zunehmende Neigung zu Gewalt gegen Journalisten – nämlich immer dann, wenn es um die Berichterstattung über Demonstrationen von Pegida und ähnlicher Gruppen geht. Ich berichte seit 20 Jahren über rechte Aufmärsche, aber eine derart angespannte und gewaltbereite Atmosphäre wie bei Pegida habe ich bisher noch nirgends erlebt. Und leider ist die Polizei oft nicht in der Lage, Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs zu schützen.

In Dresden und Berlin wurden Journalisten attackiert, in Köln eine Oberbürgermeisterkandidatin, weil sie sich für Flüchtlinge eingesetzt hat. Wie konnte die Hemmschwelle für körperliche Gewalt derart absinken?

Man kann in der aktuellen Situation mustergültig beobachten, wie ein harter Kern Gleichgesinnter zusammenfindet und es schafft, andere Menschen über Parolen einzufangen. Diese richten sich gegen Politiker, aber eben von Anfang an auch gegen Journalisten. Es gibt keine Pegida-Demo, auf der nicht auf die „Lügenpresse“ geschimpft wird. Der Begriff hat nicht nur eine unselige NS-Vergangenheit, sondern schafft auch eine gemeinsame Identifikation. Letztlich ist der Schritt zur Anwendung von Gewalt dann nur noch klein.

Die Identifikation entlädt sich in – wie Sie es nennen – Presseverdrossenheit. Woher kommt dieser Hass auf die Medien?

Viele Menschen, nicht nur bei Pegida, meinen, dass ihre Ansichten in den Massenmedien nicht vorkommen. Bei rechtsextremen Ansichten ist das auch sicher eine richtige Einschätzung. Internetportale wie „Politically Incorrect“ oder die Medien des Kopp-Verlags greifen diese Stimmung auf und geben ihr Auftrieb. Das Internet hat diese Entwicklung beschleunigt.

Das Internet ist ja aber kein ganz neues Phänomen mehr.

Nein, das sicher nicht. Die Stimmung, die ich beschreibe, gab es früher auch, aber eher im Verborgenen. Die sozialen Netzwerke sind ein verlängerter Stammtisch und das Internet bietet auch den krudesten Meinungen eine Bühne und trägt dazu bei, eine Identifikation für Menschen zu schaffen, die diffuse Ängste haben oder einfach enttäuscht sind.

Warum richtet sich die Enttäuschung gerade gegen Journalisten?

Journalisten sind vor Ort, wenn Pegida zur Demo aufruft. Sie machen ihren Job und berichten und geraten so ins Visier. Mich hat die Entwicklung der vergangenen Monate auch nicht überrascht. Viele Studien, etwa die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, sind schon vor einiger Zeit zu dem Ergebnis gekommen, dass rechtsextreme Ansichten in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Bei Pegida und zum Teil auch bei der AfD entlädt sich das jetzt. Nur: Wer alle staatlichen Gewalten inklusive der Presse ablehnt, ist für die Demokratie nicht mehr zu erreichen.

Gibt es für Journalisten überhaupt noch Möglichkeiten, ein derart gefestigtes Weltbild aufzubrechen?

Ich selbst habe ja angeboten, mit Menschen, die uns als „Lügenpresse“ bezeichnen, zu diskutieren. Dafür habe ich von Kollegen auch Stirnrunzeln und Kopfschütteln erhalten. Um es klar zu sagen: Mit Rechtsextremen würde ich mich nie an einen Tisch setzen. Ich denke aber, Gespräche mit Enttäuschten können schon etwas bewirken. Politiker und Journalisten sollten Menschen mit wirklichen Nöten oder Ängsten ernst nehmen. Wer sie missachtet, zahlt nur auf das Konto der Politik- und Medienverdrossenheit ein. Oder anders gesagt: Wir Journalisten müssen unseren Job wieder ernster nehmen.

Was meinen Sie damit konkret?

Ich beobachte seit Jahren einen Trend der Boulevardisierung, der dem öffentlichen Diskurs nicht gut tut. Journalisten stürzen sich auf einzelnen Themen, die möglichst personalisierbar sind und zeichnen Sachverhalte zunehmend in grellen Farben. Das gediegene Handwerk – etwa die verschiedenen Seiten eines Themas abzuwägen, alle Beteiligten zu Wort kommen zu lassen und Transparenz herzustellen – kommt dabei zunehmend unter die Räder. In unserer Berichterstattung gehen die verschiedenen Grautöne verloren und damit Meinungen, die dann tatsächlich nicht mehr vertreten sind. Wenn wir uns wieder auf unser Handwerk besinnen, können wir auch Vertrauen zurückgewinnen.

Haben Sie das gemeint, als Sie nach ihrer Wahl zum Bundesvorsitzenden des DJV im November gefordert haben: „Wir müssen zeigen, dass der Journalismus einen Wert für die Gesellschaft hat.“?

Ja, und dazu gehört auch eine Fehlerkultur im Journalismus. Journalisten sind in der Regel hochqualifiziert, aber eben nicht unfehlbar. Das geht jedem in jedem Beruf so. Allerdings sollten wir Fehler, die wir in der Berichterstattung machen, auch offen einräumen.

Neben Ihrer Arbeit als Journalist sind Sie auch Professor für Journalismus an der HMWK in Köln. Wie vermitteln Sie so etwas Ihren Studierenden?

Bei uns an der Fachhochschule gibt es die optimale Mischung aus Theorie und Praxis. In der Theorie sprechen wir natürlich auch über medienethische Fragen. Ich versuche, das dort Erlernte in Rechercheübungen auf die Praxis zu übertragen. Ich habe ja viel über Korruption berichtet. Da muss man sich vor einer Veröffentlichung immer auch der rechtlichen Risiken bewusst sein und aufpassen, nicht vorverurteilend zu berichten. Das versuche ich meinen Studenten zu vermitteln.

Können Sie Ihren Studierenden denn noch guten Gewissens raten, Journalist zu werden?

Auf jeden Fall. Journalist ist ein Beruf, den nur ausüben sollte, wer vollkommen dafür brennt. Wer nur „irgendwas mit Medien“ machen möchte, ist eher nicht so gut im Journalismus aufgehoben. Aber auch für diese Menschen gibt es Berufe, für die eine fundierte journalistische Ausbildung von Vorteil ist, etwa den Beruf des Lektors. Journalist zu sein, ist noch immer mein Traumberuf und ich ermutige jeden, der das auch so sieht, diesen Weg einzuschlagen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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