Inland

Warum Islam und Feminismus keine Gegensätze sein müssen

Passen Islam und Feminismus überhaupt zusammen? Die Antwort auf diese Frage dürfte manchen selbsternannten „Islamkritiker“ überraschen.
von Paul Starzmann · 26. Mai 2016

„Es reicht!“ sagt Kübra Gümüşay. Sie erhebt dabei ihre Stimme nicht, bleibt ganz ruhig, ihre Worte aber sind klar und deutlich. Sie sei weder „Opfer“ noch „Handlanger der unterdrückenden Männer“, betont die junge Journalistin am Mittwoch bei der Konferenz „Islamischer Feminismus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Als muslimische Frau sei sie es jedoch gewöhnt, entweder bemitleidet oder mit Argwohn betrachtet zu werden. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft spreche ihr vieles ab, nur weil sie ihren Glauben durch das Kopftuch sichtbar macht: ihren Intellekt, ihre Legitimation, ihr Menschsein. „Ich muss ständig beweisen, dass ich nicht unterdrückt bin“, klagt sie. Ihre Botschaft: „Es reicht!“

Den Koran zurückerobern

Kübra Gümüşay bezeichnet sich selbst als muslimische Feministin. Es gehe ihr um das „Aufbrechen von Traditionen, an die wir uns gewöhnt haben und die wir nicht mehr hinterfragen“. Damit meint sie, dass heute viele Dinge als islamisch deklariert werden, „die gar nicht islamisch sind“. Es stimme, dass manche muslimischen Frauen zur Ehe gezwungen werden. Auch gebe es Mädchen in Deutschland, die gegen ihren Willen das Kopftuch tragen müssten. Allerdings: „Falsch ist zu behaupten, dass das der wahre Islam ist“, erklärt Gümüşay.

Nicht „der Islam“ an sich oder der Koran seien „veraltet“ oder „frauenverachtend“, wie heute viele selbsternannte „Islamkritiker“ behaupten. Bestimmte Interpretationen könnten jedoch „für veraltet erklärt werden“, zitiert Gümüşay die Islamwissenschaftlerin Nahed Samour. Patriarchalische Auslegungen des Koran verschleierten, dass es eine lange Tradition des islamischen Feminismus gebe. Daran knüpften heute wieder viele Theologinnen an, wie die Religionspädagogin Elif Medeni von der Universität Wien erklärt. In den sogenannten Hadithen, den Überlieferungen aus frühislamischer Zeit, gebe es „ein hohes Maß an frauenfeindlichen Passagen, die dem Propheten in den Mund gelegt werden“. Der Grund: Die Hadithen wurden größtenteils von Männern überliefert. Mit ihren feministischen Ansätzen wollen die jungen Aktivistinnen ihren Glauben nun von den Männern zurückerobern.

Das Zauberwort heißt „Intersektionalität“

Dabei fremdeln manche muslimische Frauen mit dem Begriff „Feminismus“. Zu „eurozentristisch“ sei dessen traditionelle Ausrichtung; in Deutschland seien es zu oft weiße Frauen aus der Mittelschicht, die das Thema für sich vereinnahmten. Die Zukunft liege in der Debatte um „Intersektionalität“, finden Kübra Gümüşay und die Aktivistin Anne Wizorek, die 2013 durch den Hashtag #aufschrei bekannt wurde. Für Hannelore Buls, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats ist das Wort noch ein „Zungenbrecher“. Den jungen Feministinnen aber liegt das Konzept „Intersektionalität“ sehr am Herzen. Der Begriff beschreibt die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen, kurz: Mehrfachdiskriminierung.

So würden Musliminnen oft nicht nur als Frauen schlechter gestellt, sondern zusätzlich aufgrund ihres Glaubens diskriminiert, vor allem wenn sie ein Kopftuch tragen. „Sie haben die Deutungshoheit über mein Kopftuch an sich gerissen“, klagt Gümüşay. Damit meint sie nicht nur die Islamfeinde von Pegida und AfD. Auch vom „Emma“-Feminismus à la Alice Schwarzer grenzt sie sich ab, genau wie von den Provokationen der Gruppe „Femen“.

Das Islambild der Extremisten

Am Schluss der Konferenz „Islamische Feminismus“ waren sich alle einig, dass nur Bildungsarbeit das Islambild in der Gesellschaft zurecht rücken könne. Feministische Ansätze müssten über islamischen Religionsunterricht „auch in die Gemeinden einsickern“, fordert Elif Medeni.

Die jungen Feministinnen wollen über Religionsgrenzen hinweg für mehr Gleichberechtigung kämpfen – gegen muslimische Fundamentalisten ebenso wie gegen die „Welle der Besserwisser“, die den Islam schlechtreden wollten, wie die SPD-Politikerin Serpil Midyatli sagt. Denn laut Kübra Gümüşay stehen „Islamkritiker“ und „Islamisten“ für ein und dasselbe, undifferenzierte Islambild.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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