Inland

Warum Grund und Boden nicht dem Markt überlassen werden dürfen

Seit Jahren steigen die Preise für Bauland. Die Folgen: wachsende Mieten und satte Gewinne für Grundbesitzer. Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel fordert, Grund und Boden nicht länger allein dem Markt zu überlassen.
von Karin Nink · 28. Juni 2018

Die Baulandpreise sind im Zeitraum von 1962 bis 2015 um sagenhafte 1.800 Prozent gestiegen sind. Wie ist so etwas möglich?

Man muss die Zahl sogar noch nach oben korrigieren, da die Steigerung in den Jahren 2016 und 2017 noch einmal überdurchschnittlich hoch war. Ich ergänze es durch eine zweite Zahl: In München ist der Baulandpreis seit 1950 um 34.000 Prozent gestiegen. Diese exorbitanten Steigerungen fanden zu meiner Verwunderung mäßig Aufmerksamkeit, sowohl in der Politik als auch in den Medien. Jetzt diskutieren wir die Folgen: Steigende Mieten etwa oder die Tatsache, dass Gemeinden immer mehr für Grundstücke bezahlen müssen, auf denen sie Wohnviertel und die dazugehörige Infrastruktur schaffen wollen. Aber es ist seit Langem nicht mehr diskutiert worden, warum die Baulandpreise derartig gestiegen sind.

Und warum ist das so?

Baulandpreise steigen, weil ein Gut, das unersetzlich und unvermehrbar ist, das jeder Mensch braucht, den Marktregeln unterworfen worden ist, als ob es sich um eine beliebig reproduzierbare Ware handeln würde. Grund und Boden ist aber keine beliebig reproduzierbare Ware, sondern etwas, das nicht beliebig vermehrbar ist und auf das niemand verzichten kann. Das kann nicht dem Markt unterworfen werden. Dieser Kernfehler hat im Übrigen auch dazu geführt – und darauf sollten Sozialdemokraten in besonderer Weise schauen – dass ein Betrag, den ich vorsichtig höher als eine Billion schätze, als Vermögen zum allergrößten Teil den obersten zehn Prozent der Vermögenseigentümer zugewachsen ist. Und in jüngster Zeit auch zunehmend ausländischen Bodenspekulanten.

1974, in Ihrer Zeit als Bundesbauminister, gab es eine Novelle des Bundesbaugesetzbuches. Da wurden zum Teil den Gemeinden und Städten Kompetenzen gegeben, Planungsgewinne per städtebaulichem Vertrag abzuschöpfen. War das richtige Weg?

Die Vertragsmöglichkeit gab es erst seit den 1990er Jahren. Die Novelle zum Bundesbaugesetz hat den Gemeinden gewisse Instrumente gegeben, die sie bis dahin nicht besaßen, z. B. Vorkaufsrechte und Baugebote. Aber der Kern war das für mich nicht. Ich hatte vielmehr vor allem eine Planungsgewinnabgabe vorgesehen. Und zwar sollte sie ein Gegenstück dazu darstellen, dass Eingriffe in das Eigentum durch kommunale Maßnahmen wie Nutzungsbeschränkungen oder Enteignungen voll entschädigt würden, während die Wertsteigerungen, die eintraten, weil Baurecht verliehen oder erweitert wurde, ohne einen Pfennig Belastung dem Eigentümer verblieben. Diese Planungsgewinnabgabe wäre der erste Schritt in die Richtung gewesen, Grund und Boden nicht in der von mir kritisierten Weise allein dem Markt zu überlassen. Aber die Union hatte eine Mehrheit im Bundesrat, und deshalb ließ sich die Planungsgewinnabgabe nicht durchsetzen.

Eine Bodenrechtsreform in Ihrem Sinne ist ja schon ein starker Eingriff des Staates in die Rechte von Privaten. Wie lässt sich das rechtfertigen?

Es steht nach dem Grundgesetz fest, dass es zu all dem keine Verfassungsänderung braucht. Insofern ist das also gerechtfertigt. Die Planungsgewinnabgabe findet sich übrigens auch in der bayerischen und schon vorher in der Weimarer Verfassung. Und dass sie notwendig ist, steht außer Frage in einer Zeit, in der in nicht wenigen Städten das normale Einkommen nicht mehr zur Bezahlung der Miete ausreicht.

Aber mir geht es im Moment nicht um einen konkreten Vorschlag. Ich habe mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen empfohlen, dass im Bundestag eine Enquete-Kommission gebildet wird, die zwei Dinge feststellen muss: Zum einen die Fakten. Dazu gehören viele Zahlenreihen und auch ein Vergleich mit einer Stadt wie Wien, in der ein Drittel aller Mieter in Wohnungen lebt, die auf städtischem Grund oder von der Stadt bestimmten Grund stehen und mit einer Mietpreissteigerung, die minimal ist. Zum anderen muss eine solche Kommission zusammenstellen, was es an Änderungsvorschlägen gibt.

Dann wird eine Diskussion darüber notwendig werden, ob man weiterhin nichts macht, so dass reiche Spekulanten weiter agieren können wie bisher. Oder ob gerade wir Sozialdemokraten uns doch für gesetzgeberische Maßnahmen, zumindest für eine Planungsgewinnabgabe entscheiden. Nur ist inzwischen zu hören, dass es anstelle einer Enquete-Kommission …

…eine Expertenkommission geben soll...

Ja, auf der Regierungsebene.

Nicht einverstanden?

Mir wäre eine Enquete-Kommission lieber gewesen. Aber wenn die Expertenkommission vernünftig zusammengesetzt wird und einen vernünftigen Auftrag bekommt, wenn sie die Punkte, die ich vorhin erwähnt habe, untersucht, dann kann auch sie meiner Ansicht nach das leisten, was notwendig ist. Bei einer Enquete-Kommission wäre die öffentliche Aufmerksamkeit größer.

Ist der Staat aber nicht in einem gewissen Interessenskonflikt: Einerseits soll er im Interesse des Steuerzahlers Höchstpreise für seine Immobilien erzielen. Andererseits kurbelt er damit natürlich genau diese Spirale von Spekulationen an. Wo sehen Sie Pflicht und Notwendigkeit des Staates?

Mich hat gewundert, in letzter Zeit sogar geärgert, dass auch der Freistaat Bayern und der Bund in Zeitungsanzeigen Grundstücke an den Meistbietenden angeboten haben. Das war mit der Wohnungsmarktsituation für mich überhaupt nicht zu vereinbaren. Aber erfreulicherweise ist jetzt im Koalitionsvertrag dieser Punkt mehrfach angesprochen. Und ich hoffe, dass diese meistbietenden Veräußerungen bald aufhören. Der Bund soll sogar angehalten werden, entbehrliche Grundstücke – etwa einst militärisch genutzten Flächen – den Gemeinden zu einem vernünftigen Preis zur Verfügung zu stellen. Die Länder sollten dem folgen. Das wäre eine Entwicklung in Richtung Wien, das schon seit 100 Jahren eine beispielhafte Wohnungsbaupolitik betreibt.

Es ist eine Reform der Grundsteuer, die Grundsteuer C geplant. Kann das zum Teil beitragen, dass Spekulantentum einzudämmen?

Bis zum 31. Dezember 2019 muss ein neues verfassungsgemäßes Grundsteuergesetz in Kraft treten. Da ist bei der Schwierigkeit des Problems nicht viel Zeit. Da ist auch von der Grundsteuer C die Rede. Das muss noch einmal sorgfältig geprüft werden. Es gab die Grundsteuer C ja schon einmal 1961, wenige Jahre später wurde sie wieder abgeschafft. Von den verschiedenen Vorschlägen, die für eine verfassungsgemäße Grundsteuer jetzt auf dem Tisch liegen, interessiert mich am meisten die Bodenwertsteuer. Sie versteuert alljährlich nur den Bodenwert zu einem Prozentsatz, der einerseits von Ländern und letzten Endes von den Gemeinden festgelegt wird. Denn die Einbeziehung der Gebäude macht das Ganze sehr schwer handhabbar.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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