Inland

Warum Flüchtlinge in die SPD eintreten

Sie kommen aus Ägypten und wurden verfolgt, weil sie Christen sind. In Berlin fanden sechs Kopten Zuflucht – und den Weg in die SPD. Ein Ortsbesuch
von Kai Doering · 15. Dezember 2015
Flüchtlinge in der SPD
Flüchtlinge in der SPD

Der Bürgersaal des Rathauses in Berlin-Spandau ist festlich dekoriert. An drei Tischreihen sitzen Männer in Sakkos und Frauen in Blusen. Auf den Tischen stehen Wein- und Wasserflaschen, Teller mit Keksen und Weihnachtssternen. Es ist der Abend des 9. November. Viele nennen dieses Datum den „Schicksalstag der Deutschen“. Für die Spandauer SPD ist es traditionell der Tag, an dem sie ihre langjährigen Mitglieder ehrt und neue willkommen heißt.

„Jeder muss seinen Beitrag leisten, damit die SPD erfolgreich ist“, erinnert Klaus Wowereit. Bis vor einem Jahr war er Regierender Bürgermeister von Berlin. Für diesen Abend haben ihn die Spandauer Genossen als Festredner eingeladen. Wowereit spricht über das Ende der Monarchie am 9. November 1918, den Fall der Mauer am 9. November 1989 und die Pogromnacht am 9. November 1938, in der überall in Deutschland jüdische Geschäfte zerstört, Synagogen angezündet wurden. „Dieses Ereignis sollte uns daran erinnern, warum wir ein besonderes Verhältnis zum Asylrecht haben“, sagt Wowereit.

„Ich will mich für die deutsche Gesellschaft engagieren.“

Im hinteren Teil des Bürgersaals sitzen fünf Männer und eine Frau und hören besonders aufmerksam zu. Ab und an tuscheln sie miteinander. Nicht jeder von ihnen spricht schon so gut Deutsch, um alles zu verstehen. Emad ist Anfang dreißig. Er ist Ingenieur und hat schon in verschiedenen Ländern gearbeitet. Auf seinen Handrücken ist ein kleines Kreuz tätowiert. Emad ist Kopte und damit Mitglied der christlichen Minderheit in Ägypten. In seiner Heimat wurde er verfolgt. Nach dem Sturz Mubaraks machten die Muslimbrüder Jagd auf die Kopten. Mit seiner Familie floh Emad nach Deutschland. Knapp zwei Jahre ist das her. In Berlin fassten sie Fuß. Anfang November ist Emad in Spandau in die SPD eingetreten. „Die Partei macht sich stark für uns Flüchtlinge“, sagt Emad. Und: „Ich will mich für die Gesellschaft engagieren.“

„Die SPD ist eine starke Partei. In ihr leben die Ideen von Karl Marx fort“, meint Osama. Auch er spricht Deutsch, aber wenn ihm etwas besonders wichtig ist, wechselt er ins Englische. Osama ist Jurist, doch die Muslimbrüder ließen ihn in Ägypten nicht in Ruhe arbeiten. Er hat einen Asylantrag in Deutschland gestellt, wartet nun auf eine Antwort. Osama zeigt ein dünnes Papier, seine „Aufenthaltsgestattung“. Sie ist sechs Monate gültig. Was danach kommt, weiß Osama nicht. Der Eintritt in die SPD war ihm trotzdem wichtig. Auch Osama möchte sich engagieren und mit Gleichgesinnten austauschen.

Gemeinsam eine neue Leitkultur entwickeln

Dann müssen Emad, Osama und die anderen nach vorn. Raed Saleh, der Vorsitzende der Spandauer SPD, überreicht jedem Neumitglied zur Begrüßung eine rote Rose. „Willkommen in Deutschland, willkommen in der SPD“, sagt Saleh, der selbst als Kind mit seinen Eltern aus dem Westjordanland nach Berlin gekommen ist. Wenn er mit Emad, Osama und den anderen spricht, wechselt er ständig zwischen Deutsch und Arabisch. „Wir wollen gemeinsam mit euch Regeln für ein gutes Zusammenleben entwickeln, eine neue Leitkultur“, sagt Saleh. Die Neu-Mitglieder nicken. Sie sind angekommen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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