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Warum es Fake News in der Corona-Krise besonders leicht haben

Die Coronakrise ist auch eine Hochzeit für die Verbreitung von Falschnachrichten. Experte Alexander Sängerlaub sagt, wer von Fake News profitiert, wie man sie erkennt und warum ein Verbot nicht hilft.
von Kai Doering · 2. April 2020
Corona als Hochzeit für Fake News: Jeder sollte sich bewusst machen, dass er eine Verantwortung hat für das, was er weiterverbreitet, sagt Experte Alexander Sängerlaub.
Corona als Hochzeit für Fake News: Jeder sollte sich bewusst machen, dass er eine Verantwortung hat für das, was er weiterverbreitet, sagt Experte Alexander Sängerlaub.

Mögen Sie den 1. April?

Wenn Sie die Aprilscherze meinen: Da bin ich ein Fan der Klassiker wie z.B. des Beitrags der BBC aus den 50er Jahren, in dem gezeigt wird, wie Spaghetti auf Bäumen wachsen. Insofern finde ich den 1. April amüsant, weiß aber auch, dass einige der Scherze schief gehen und dann als Fake News die Runde machen.

Das Gesundheitsministerium hatte in diesem Jahr darum gebeten, auf Aprilscherze zum Corona-Virus zu verzichten, da sie leicht für die Verbreitung von Fake News missbraucht werden könnten. Ist die Sorge berechtigt?

In einer Krisen-Nachrichtenlage wie im Moment halte ich solch einen Hinweis für sehr sinnvoll. Im Moment werden ja jeden Tag neue Erkenntnisse und neue Ergebnisse medizinischer wie politischer Art mitgeteilt und diskutiert. Hinzu kommen Beschränkungen unseres Alltags. In solch einer angespannten Situation müssen Journalisten ihre Nachrichten mit sehr viel Fingerspitzengefühl produzieren, da die Menschen extrem sensibel reagieren.

Sind in Ausnahmesituationen wie jetzt bei Corona tatsächlich mehr Fake News in Umlauf oder sind die Menschen einfach empfänglicher dafür?

Beides. Untersuchungen zu Fake News während der Corona-Krise gibt es zwar bisher noch nicht, aber es ist ja ganz offensichtlich, dass alle anderen Nachrichten nahezu komplett verdrängt worden sind. Corona und alles, was damit verbunden ist, ruft bei den Menschen große Unsicherheit hervor, gleichzeitig aber auch ein Bedürfnis, möglichst viel darüber zu erfahren. In dieser Flut der Informationen auf den unterschiedlichen Kanälen ist sicher viel Richtiges dabei, aber auch Falschnachrichten wie etwa, dass man testen kann, ob man mit Corona infiziert ist, indem man den Atem anhält. Insgesamt kann man sagen: Je unklarer eine Situation ist, desto leichter haben es Fake News.

Alle Fake News haben einen Absender. Welche Ziele verfolgt jemand, der Fake News verbreitet?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Menschen, die gezielt Desinformation streuen, weil sie jemandem damit schaden wollen. Ganz offensichtlich war das etwa bei der letzten Bundestagswahl 2017, wo vor allem aus dem rechtspopulistischen Spektrum viele Desinformationen kamen, um die eigene Wählerklientel zu bedienen und sie so zu mobilisieren. Bei Gesundheitsthemen wie jetzt bei Corona ist die Situation eine etwas andere. Da gibt es nach meiner Beobachtung viel Unsicherheit und Unwissenheit, die dazu führen, dass Fake News auch unbeabsichtigt verbreitet werden.

Wie kann man Fake News über Corona erkennen?

Im Journalismus gibt es ja den schönen Satz „Be first, but first be right“. Deshalb lautet mein Appell, dass jeder nur Informationen weiterverbreiten sollte, bei denen er sicher ist oder überprüft hat, dass sie stimmen. Manchmal hilft schon eine kurze Google-Suche, um herauszufinden, dass eine vermeintliche Neuigkeit eigentlich eine Falschinformation ist. So viel Zeit sollten wir uns nehmen.

Was ist aus Ihrer Sicht eine vertrauenswürdige Quelle?

Wir wissen aus verschiedenen Untersuchungen, dass das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr groß ist. Insofern sind Deutschlandfunk, ARD oder ZDF gerade für viele ein Vertrauensgarant. Aber auch überregionale oder Lokalzeitungen können sehr vertrauenswürdig sein bis hin zu bestimmten Kanälen auf Youtube wie z.B. maiLab. Die wichtigste Frage ist: Kenne ich die Originalquelle einer Information und halte ich sie für glaubwürdig? Das sollte man sich fragen, bevor man Informationen weiterverbreitet. Jeder sollte sich selbst bewusst machen, was eine Information, die der „Spiegel“ aufbereitet , von einer unterscheidet, die über eine private Internetseite verbreitet wird. Es kann übrigens schon helfen, ein wenig persönliche Nachrichtenhygiene zu betreiben und nicht jeder neuen Entwicklung nachzugehen, sondern sich lieber nur zweimal am Tag konzentriert den Nachrichten auszusetzen.

Viele Fake News werden über Messanger wie WhatsApp verbreitet. Warum eignen die sich besonders dafür?

Bei Messangern ist die Unmittelbarkeit besonders groß. Informationen, die uns Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder dort schicken, haben einen gewissen Vertrauensvorschuss. Viele glauben, wenn sie aus diesem Kreis Nachrichten erhalten, sind sie vom Absender schon geprüft worden und können unbesehen weitergegeben werden. Das ist ein großer Fehler. Eine Gefahr liegt auch in der bereits erwähnten hohen Geschwindigkeit, in der Nachrichten über Messanger verbreitet werden. Jeder sollte sich bewusst machen, dass er eine Verantwortung hat für das, was er weiterverbreitet.

Welche Rolle spielt die Psychologie, dass man also die Informationen glaubt und teilt, die man glauben möchte?

Wissenschaftlich spricht man in solchen Fällen von einem „Bestätigungsfehler“, also dass man Dinge abstreitet, einfach weil man sich wünscht, dass so etwas wie Corona in Deutschland nicht passiert oder die Krankheit nicht so schlimm ist. Das führt dann etwa dazu, dass man unbewusst, aber gezielt Informationen sucht, die das bestätigen. In so einer Situation ist man sicher auch empfänglicher für Fake News.

Der Verfassungsschutz warnt davor, dass rechtextreme Kreise Fake News zu Corona nutzen könnten, um das Vertrauen in die Regierung zu erschüttern. Halten Sie das aus Ihrer Erfahrung heraus für realistisch?

Ja, das halte ich für sehr wahrscheinlich. Bei unserer Untersuchung zur Bundestagswahl 2017 haben wir gesehen, dass fast alle Desinformationen zu den Themen Flüchtlinge und innere Sicherheit aus der rechtspopulistischen Ecke kamen. Sie wurden genutzt, um gezielt Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen zu sähen. Dasselbe Muster ist auch in der Coronakrise zu beobachten, etwa wenn man sich einzelne Accounts von AfD-Politikern ansieht.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat in der Corona-Krise gefordert, die Verbreitung von Fake News unter Strafe zu stellen. Wäre das sinnvoll?

Der Ruf nach einem Verbot von Fake News ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll und auch nicht mit unserem Grundgesetz und Artikel 5 vereinbar. Zielführender finde ich, Fake News im gesellschaftlichen Diskurs zu enttarnen und ihnen entgegenzuwirken. Die sozialen Medien sind zurzeit aktiver als sonst, warnen ihre Nutzer davor, Fake News zu teilen und überprüfen manche der geposteten Inhalte mit Faktenchecks. Wo der Selbstreinigungsprozess bisher noch nicht funktioniert, sollten dann lieber Faktencheck-Teams aufgestockt werden. Doch Verbote von Fake News brauchen wir nicht.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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