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Warum es der SPD bei der Vermögensteuer nicht nur um Geld geht

Mit einer Vermögensteuer will die SPD zeigen, dass sie die enorme Schieflage der Chancenverteilung in Deutschland angeht, sagt Lothar Binding. Für den finanzpolitischen Sprecher hat die Steuer auch eine ethische Dimension.
von Vera Rosigkeit · 19. Februar 2020

Warum geht es bei der auf dem SPD-Bundesparteitag beschlossene Vermögensteuer nicht nur um Geld?
Vermögen in Deutschland sind zu ungleich verteilt. Ein kleinerer Teil der Gesellschaft ist so gut abgesichert, dass er alle Chancen nutzen kann, ohne ein Risiko scheuen zu müssen. Denn jedes Risiko, das eintritt, lässt sich mit einem großen Vermögen abfedern. Arme Menschen können das nicht. Wer aber keine Risiken eingehen kann, kann auch keine Chancen nutzen. Das wiederum verstärkt Armut und führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung. Die Vermögensteuer hat also eine ethische Dimension.

Kann die Einführung dieser Steuer helfen, die gesellschaftliche Spaltung zu beenden?
Zunächst wollen wir zeigen, dass wir diese Ungerechtigkeit, diese gravierende Schieflage der Chancenverteilung in unserer Gesellschaft angehen wollen. Gelegentlich gibt es allerdings ein Missverständnis, wenn von „Umverteilung“ die Rede ist. Denn durch Steuern, hier der Vermögensteuer, wollen wir nicht in dem Sinne umverteilen, dass wir Reichen nehmen und Armen geben. Stets geht es darum, dass sich Menschen, denen es finanziell sehr gut geht, stärker an den gemeinschaftlichen Aufgaben beteiligen.

Binding: „Alle schaffen ein Vermögen, einer erbt“

Das betrifft die Einkommen ebenso wie die Vermögen. Bei den Vermögen wird die Ungerechtigkeit besonders deutlich, denn mehr als 50 Prozent aller Vermögen kommen aus Erbschaften. Und diese Erbschaften entstehen nicht dadurch, dass der Erwerber (wie das steuerfachlich genannt wird), also die eigene Familie besonders fleißig war. Sie entstehen häufig, indem man sich von Anderen geschaffenes Vermögen aneignet – von der Vorgeneration oder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das Vermögen geschaffen, erarbeitet haben.

Was heißt das genau?
Nehmen wir ein Familienunternehmen mit 999 Beschäftigten und einem Unternehmer bzw. Besitzer. Alle 1000 zusammen schaffen in ihrem ganzen Leben ein Vermögen, alle sind fair entlohnt – alle Arbeitnehmer und der Unternehmer. Stirbt der Unternehmenseigner, erben nur seine Kinder das gesamte Vermögen, das aber 1.000 Leute erarbeitet haben. Dadurch entsteht eine Vermögenskonzentration, die mit unserer Art des Vererbens zu tun hat. Das ist eine eingebaute Ungerechtigkeit in unserem System. Alle schaffen ein Vermögen, einer erbt.

Wie sieht ein Beispiel für die enorme Ungleichheit von Vermögen in Deutschland aus?
Wenn zehn Prozent der Bevölkerung über ein Pro-Kopf-Vermögen von 1,4 Millionen Euro verfügen, besitzen sie das 80-fache eines durchschnittlichen Einkommens. Ich könnte auch sagen, dass ein Haushalt der 45 reichsten Familien so viel Vermögen hat, wie 440.000 andere Haushalte. Dieses Übermaß an Vermögen hat ein Niveau erreicht, dass selbst eine höhere Steuer dieses Grundproblem nicht lösen kann. Deshalb ist auch die Aufregung über diese niedrige Steuer völlig unverständlich.

Ab welchem Vermögen soll künftig wieviel Steuer gezahlt werden?
Bis 1997, als es diese Steuer noch gab, lagen die Freibeträge für Singles bei 120.000 DM oder für Familien bei 240.000 DM. Wir schlagen vor, dass die Steuer bei Ledigen ab zwei Millionen Euro, bei Verheirateten ab vier Millionen zunächst in Höhe von einem Prozent zu zahlen ist. Es ist eine geringe Steuer mit Symbolgehalt.

Der Koalitionspartner will Steuern senken. Eine gute Idee?
Wir haben derzeit eine Konjunkturlage, in der eine Steuersenkung weder notwendig noch sinnvoll ist. Wenn wir jetzt in einer wirtschaftlich guten Lage beginnen, Steuern zu senken, was machen wir dann in einer wirtschaftlichen schlechten Lage?

SPD will Finanztransaktionsteuer (FTS)

Viel wichtiger als Steuersenkungen ist doch zu schauen, wie gut ist unser Nahverkehrssystem, wie gut die Ausbildungssituation und damit die Qualifikation möglicher Mitarbeiter*innen? Wie hoch ist der Bildungsstand in der Bevölkerung, sind wir bereit, uns auf die Digitalisierung einzulassen, sie gezielt einzusetzen und zu steuern? Und gibt es Bedingungen, in denen sich ein Unternehmen gut entwickeln kann? Das ist viel wichtiger als ein Grundstückspreis oder ein Steuertarif.

Das Sozialstaatskonzept der SPD soll solide finanziert werden. Welche weiteren Maßnahmen sind beschlossen, um die Einnahmeseite zu erhöhen?
Neben der Vermögensteuer will die SPD eine Finanztransaktionsteuer (FTS) einführen. Die FTS ist im Koalitionsvertrag mit europäischem Bezug vereinbart, also nur, wenn auch andere Länder sie einführen oder schon haben. Bisher wird die FTS in der „verstärkten Zusammenarbeit“ angestrebt, also von zehn Ländern gemeinsam. Leider herrscht innerhalb dieser zehn Länder keine Einigkeit darüber, wie diese Steuer aussehen soll.

Nachdem nun seit über zehn Jahren erfolglos verhandelt wurde, ist es Olaf Scholz gelungen, sich mit Frankreich auf eine Minimallösung zu einigen. Und zwar auf eine Steuer von 0,2 Prozent beim Kauf von Aktien großer Unternehmen, deren Wert eine Milliarde Euro übersteigt. Außerdem soll ein besonders kritischer Teil des Hochfrequenzhandels, die Schein-Orders besteuert werden. Schein-Orders werden zur Manipulation von Kursen oder in High-Frequency Trading Systemen zur Beeinflussung von Positionen eingesetzt. Wir, die SPD, möchten langfristig eine Steuer, die auch Derivate und den gesamten Hochfrequenzhandel einschließt.

Wäre das von der SPD geplante Sozialstaatskonzept mit den derzeitigen Einnahmen des Staates aus Steuermitteln finanzierbar?
Insgesamt ist das Sozialstaatskonzept auf der geplanten Finanzierungsbasis finanzierbar. Die Finanztransaktionssteuer, auch die Vermögensteuer und besonders die Betrugsbekämpfung (Kassenmanipulation, Karussellgeschäfte  zum Mehrwertsteuerbetrug, grenzüberschreitende  Gewinnverschiebungen) stärken die Einnahmeseite. Zudem gibt es auch im Haushalt noch Möglichkeiten der Umverteilung, beim Subventionsabbau beispielsweise.

„Kleinaktionär kann sich beruhigt zurücklehnen“

Bei der Vermögensteuer rechnen wir derzeit mit Mehreinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich, bei der Finanztransaktionsteuer mit einem Plus von etwa 1,5 Milliarden Euro, kämen die Derivate dazu, wären es mehr.

Nun behaupten ja einige, allen voran Vertreter der FDP, das diese beiden Steuern den Mittelstand bedrohe. Trifft das zu?
CDU/CSU und FDP benutzen diesen Begriff von Mittelstand nur, um unsere Politik zu diskreditieren. Das geht soweit, dass Menschen Angst vor einer Steuer haben, die sie nicht betrifft.

Nehmen wir die FTT: Kleinanleger kommen damit gut zurecht, auch wenn oft anderes behauptet wird. Ein Beispiel: Wenn jemand für 400 Euro Aktien kauft, läge die Steuer darauf bei 0,80 Cent. Würde jemand tatsächlich jeden Monat 400 Euro sparen und das über 35 Jahre lang, müsste er nach 35 Jahren Steuern in Höhe von ungefähr 1.100 Euro zahlen. Allerdings wären nach 35 Jahren auch ungefähr 300.000 Euro angespart. Kurz gesagt, der Kleinaktionär kann sich beruhigt zurücklehnen.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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