Inland

Warum eine Kindergelderhöhung besser klingt als sie ist

Die möglichen Jamaika-Koalitionäre wollen Kindergeld und Kinderfreibetrag erhöhen. Helfen würde das vor allem wohlhabenden Eltern, kritisiert das „Zukunftsforum Familie“. Um Kinderarmut zu bekämpfen, wären zwei andere Maßnahmen sinnvoller.
von Fabian Schweyher · 16. November 2017
Kindergeld
Kindergeld

Während die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition noch laufen, gibt es erste Ergebnisse im Bereich Familie. So wollen CDU/CSU, Grüne und FPD sowohl Kindergeld als auch Kinderfreibetrag erhöhen. Was ist davon zu halten? Wer profitiert davon und wer nicht? Wir haben Alexander Nöhring gefragt. Er ist Geschäftsführer des Vereins „Zukunftsforum Familie“ in Berlin.

In den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition haben sich Union, FDP und Grüne darauf geeinigt, das Kindergeld um 25 Euro anzuheben sowie den Kinderzuschlag anzuheben. Das hört sich doch gut an?

Es hört sich immer gut an, wenn das Kindergeld erhöht wird, denn erst einmal wird für Familien mehr Geld ausgegeben. Was viele aber nicht wissen: Das Kindergeld hat eine Doppelfunktion: Nur für Familien mit kleinem Einkommen ist es eine echte Förderleistung. Für den größten Teil der Bezieher ist es eine Steuerrückzahlung. Haben Familien ein hohes Einkommen, reicht das Kindergeld als Steuerrückerstattung nicht mehr aus und es wirkt der Kinderfreibetrag. Aus diesem Grund haben sich die Parteien offenbar auch auf eine Erhöhung des Freibetrags geeinigt. Damit wird aus unserer Sicht das ungerechte System aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen weiter zementiert. Denn: Umso höher das Einkommen, umso höher die Entlastung. Arme Familien erreicht man damit nicht, denn sie zahlen keine oder kaum Steuern. Eine Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrags sind sehr teuer – ohne dass Menschen mit Hartz-IV-Bezug davon profitieren, denn hier wird das Kindergeld komplett gegengerechnet.

Und was ist mit dem Kinderzuschlag, der ebenfalls erhöht werden soll?

Sollte der Kinderzuschlag erhöht und einkommensabhängig ausgezahlt werden, kann dies durchaus Wirkung zeigen. Im Prinzip entspricht das der Kindergeld-Reform, die Katharina Barley kurz vor der Bundestagswahl vorgeschlagen hat. Sie wollte weder Kindergeld noch Kinderfreibetrag erhöhen, sondern über den Kinderzuschlag die einkommensabhängige Komponente stärken und so vor allem Familien mit geringem Einkommen gezielt unterstützen.

Welches System wünschen Sie sich?

Wir fordern eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung. Die Familienförderung muss vom Steuerrecht entkoppelt werden – ansonsten gibt es den Effekt, dass mit steigendem Einkommen eine höhere Entlastung einhergeht. Außerdem gehören Kinder nicht in das Hartz-IV-System, das ja ein Instrument zur Arbeitsförderung ist. Wir brauchen eine eigenständige Leistung für Kinder, die alles zusammenführt und die sich an dem Existenzminium für Kinder orientiert.

Ist das wirklich nötig?

In Deutschland gibt es das materielle Existenzminimum in Höhe von 393 Euro. Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, muss allerdings auch die soziokulturelle Teilhabe ermöglicht werden, gemeint ist damit beispielsweise Bildung, Ausbildung, Erziehung. Im Steuerrecht leisten wir uns dafür einen Freibetrag von 220 Euro für Kinder in Familien, die über ein hohes Einkommen verfügen. Im Sozialrecht gibt es auch Geld aus dem Bildungs- und Teilhabepakt: 19 Euro pro Kind. Das heißt: Kinder aus reichen Haushalten fördern wir mit 220 Euro und arme Kinder mit 19 Euro. Das ist unsolidarisch. Wir brauchen ein Umdenken und eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung.

Lässt sich damit Kinderarmut bekämpfen?

Mit Geld allein lässt sich Kinderarmut nie bekämpfen. Armut fängt bei zu wenig vorhandenem Geld an und hört nicht unbedingt auf, wenn ausreichend Geld vorhanden ist. Es braucht Kindertagesstätten, Kindertagespflege, Schulen, Armutssensibilität und Familienbildung. In unserer Gesellschaft hat Teilhabe allerdings auch mit Geld zu tun, und deswegen müssen wir auf die Geldleistungen schauen.

Zurück zu den Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen. Beobachten Sie die Sondierungsgespräche?

Wir schauen uns sehr genau an, was die möglichen Koalitionspartner aushandeln. Wird das Kindergeld und der Kinderzuschlag wirklich erhöht, werden wir darauf achten, ob auf diese Weise das Existenzminimum für Kinder erreicht wird. Das ist der Messstein. Für uns ist das Existenzminimum der Ausgangspunkt für eine familienpolitische Leistung.

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