Warum die Wähler ein Recht auf ein zweites TV-Duell haben
Es war keine Glanzleistung, die die Moderatoren des TV-Duells zwischen Martin Schulz und Angela Merkel Anfang September ablieferten: Hochkomplexe Zusammenhänge stampften sie zu Ja-Nein-Fragen ein, einen Großteil der Sendezeit widmeten sie den Themen Islam und Flüchtlingen. Für Bildung, Rente, Löhne oder Steuern nahmen sie sich hingegen kaum Zeit.
CDU im Wahlkampf: Es ist schon alles gesagt
Selbst die beiden Duellanten Schulz und Merkel waren unzufrieden mit der Sendung: Leider seien zu viele Themen unter den Tisch gefallen, kritisierten sie im Nachhinein. Deshalb will SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nun ein zweites TV-Duell: „Sehr geehrte Frau Merkel, die Bürgerinnen und Bürger verdienen eine umfassende Debatte um die zentralen Zukunftsfragen unseres Landes“, schrieb er am Dienstag an die Kanzlerin. „Aus diesem Grund fordere ich ein zweites TV-Duell vor der Bundestagswahl.“
Doch Merkel will nicht debattieren. Einmal 90 Minuten TV-Duell, ließ sie mitteilen, seien mehr als genug. „Zu dem Thema ist alles gesagt“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber am Mittwoch. Besser hätte er das Motto seiner Kanzlerin nicht auf den Punkt bringen können: Egal um was es geht, für Angela Merkel ist zu fast jedem Thema schon „alles gesagt“.
Machtmensch Merkel: Kein Risiko eingehen
Dabei steht die Kanzlerin eigentlich in der Pflicht, in öffentlichen Debatten Position zu beziehen. Ob es Merkel gefällt oder nicht: In einer Demokratie haben die Wähler ein Recht darauf zu erfahren, was ihre politischen Vertreter vorhaben. Das Schweigen der Kanzlerin zu allen zentralen Zukunftsfragen ist ein Armutszeugnis. Die Bürger haben von einer Regierungschefin mehr Respekt verdient.
Im Gegensatz zu Martin Schulz weigert sich Merkel aber beharrlich, mit der Sprache rauszurücken. Der Grund: Sie kann ihre Macht nur solange erhalten, wie sie ihre unterschiedlichen Wähler im Unklaren lässt. Sobald sie aber eine feste Meinung äußert, gibt es sofort jemanden, den sie damit vor den Kopf stößt. Das hat ihr einmaliger Vorstoß im Jahr 2015 gezeigt, als sie mit einer klaren Haltung in der Flüchtlingsfrage überraschte. Dieses Risiko will der Machtmensch Merkel nicht noch einmal eingehen – vor allem nicht kurz vor der Wahl.
CDU fürchtet Merkels Kehrtwenden
Deshalb will sie auch kein zweites TV-Duell. Zu groß ist in der CDU die Nervosität: Merkel könnte schwach werden und sich live im Fernsehen zu einer eindeutigen Position hinreißen lassen. So wie im vergangenen Juni, als sie bei einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift „Brigitte“ aus dem Publikum nach der „Ehe für alle“ gefragt wurde – und in Sekundenschnelle die Jahrzehnte alte Abwehrhaltung ihrer Partei über Bord warf. Oder im TV-Duell gegen Martin Schulz, der es schaffte, der überrumpelten Kanzlerin eine plötzliche Absage an die Rente mit 70 abzuluchsen.
Aus Angst vor weiteren überstürzten Kehrtwenden bleibt Merkel deshalb bei ihrem „Nein“ zu einem zweiten Duell. Das passt zu ihrer Strategie des Aussitzens und Schweigens: Die Kanzlerin will keinen offenen Wahlkampf führen, sie will die Bürger einschläfern, damit sie am Wahltag zu Hause bleiben. Auf keinen Fall will sie irgendeine Haltung offenbaren, niemand soll mit politischen Inhalten behelligt werden. Merkels Ziel: Im Amt bleiben und das Land noch einmal vier Jahre weiter verwalten.
Für die Bundesrepublik wäre das verheerend. Geht Merkels Strategie auf, würden sich noch mehr Menschen von der Demokratie abwenden – und in das Lager der Nicht-, aber wohl auch der AfD-Wähler wechseln. Und so ist mehr als fraglich, ob unsere Demokratie weitere vier Jahre Merkel ohne größere Schäden überstehen würde.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.