Warum Anwälte keine „Anti-Abschiebe-Industrie“ sind
Wer kann sich hier auf den „Rechtsstaat“ berufen?
Zum Rechtsstaat gehört nicht nur das Verwaltungsverfahren in den Behörden, sondern auch die Möglichkeit, eine negative Entscheidung vom Gericht überprüfen zu lassen. Das Recht gegen eine belastende Entscheidung klagen zu können, ist sogar im Grundgesetz garantiert (Artikel 19 Absatz 4). Auf dieses Recht können sich auch Ausländer berufen, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder die als Kriminelle abgeschoben werden sollen.
Ist der Begriff „Industrie“ berechtigt?
Der Begriff legt nahe, dass Anwälte Klagen gegen Abschiebungen als Geschäftsmodell betreiben, mit dem sie vor allem selbst Geld verdienen wollen. Solche Vorwürfe gibt es zum Beispiel gegen Anwälte, die Urheberrechtsverletzungen abmahnen. Gegen Asylanwälte gab es solche Vorwürfe bisher nicht. Asylanwälte gelten bisher eher als humanitär motivierte Überzeugungstäter, da Klagen in Asylsachen laut der gesetzlichen Vergütungstabelle relativ schlecht bezahlt werden. Der Staat übernimmt die Kosten des Anwalts (über die Prozesskostenhilfe) auch nur dann, wenn die Klage erfolgversprechend ist. In anderen Fällen muss der Flüchtling oder seine Unterstützer den Anwalt bezahlen, der deshalb für seine Arbeit manchmal am Ende gar nichts bekommt.
Sind Klagen gegen Abschiebungen immer aussichtslos?
Nein. Im Asylverfahren passieren viele Fehler, auch zu Lasten der Flüchtlinge. Wichtige Gründe hierfür: Das Bundesamt (BAMF) ist stark überlastet; für Anhörung und Entscheidung sind unterschiedliche Beamte zuständig; viele Dolmetscher sind unerfahren oder unzuverlässig. Zudem kann sich auch nach Abschluss eines Verfahrens die Situation im Herkunftsland oder der Gesundheitszustand des Ausländers verschlechtern. Auch Kriminelle können geltend machen, dass ihnen im Heimatland Todesstrafe, Folter oder Freiheitsstrafe bis zum Tod drohen. Es gibt allerdings keine Statistik, wieviele Klagen mit Bezug zu Abschiebungen letztlich erfolgreich sind.
Warum dauern Klagen im Asylrecht so lange?
Eigentlich gibt es im Asylrecht nur einen kurzen Prozess. Die Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn das Verwaltungsgericht (VG) dies im Eilverfahren ausdrücklich anordnet. Gegen diese Eil-Entscheidung gibt es keinerlei Rechtsmittel. Wenn also der Eilantrag vom Verwaltungsgericht abgelehnt wurde, kann der Ausländer abgeschoben werden. Nun kommt es aber darauf an, ob eine Abschiebung überhaupt möglich ist. In der Regel haben chancenlose Ausländer keine Ausweispapier und viele Herkunftsländer etwa Gambia oder die Staaten Nordafrikas sind bei der Ausstellung von Ersatzpapieren nicht kooperativ. Wenn also aus solchen praktischen Gründen die Abschiebung scheitert und der Flüchtling deshalb weiter in Deutschland ist, dann kann er auch in der Hauptsache weiter gegen seine Abschiebung klagen und hoffen, doch noch Erfolg zu haben (zum Beispiel, weil sich die Verhältnisse verschlechtert haben).
Ist eine weitere Verkürzung des Rechtswegs sinnvoll?
Nein, im Gegenteil. Weil im Eilverfahren alle Entscheidungen in der ersten Instanz beim VG getroffen werden, können Obergerichte erst Jahre später Vorgaben machen, wenn die Hauptsacheverfahren bei ihnen landen. Bis dahin muss jede VG-Kammer eine eigenverantwortliche Entscheidung
treffen. Ein Beispiel: Manche Gerichte in Baden-Württemberg halten derzeit Dublin-Rückführungen nach Italien für unzumutbar, andere Gerichte lassen sie zu. Weil es keine VGH-Vorgabe gibt, klagen alle Betroffenen. Es wird deshalb diskutiert, auch in Eilverfahren bei grundsätzlicher Bedeutung wieder die Berufung zuzulassen.
Welche Änderung im Asylprozessrecht wäre noch sinnvoll?
Im Hauptsacheverfahren ist beim VGH Schluss, wenn es um Tatsachen geht. Im Asylrecht geht es aber oft nur um Tatsachen. So erhalten Syrer im wehrfähigen Alter beim VGH Mannheim generell die Anerkennung als politisch Verfolgte (und damit das Recht auf Familiennachzug), während dies etwa vom Verwaltungsgerichtshof Schleswig verweigert wird. Es gibt in der deutschen Justiz zwei Lager in dieser Frage, doch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) kann keine Rechtseinheit herstellen. Denn die Prognose, wie das syrische Regime auf zurückkehrende Syrer reagieren wird, ist keine Rechtsfrage. Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter schlägt deshalb vor, hier dem BVerwG ausnahmsweise auch Leitentscheidungen für die Feststellung von Tatsachen zuzubilligen. Den Gesetzentwurf müsste der fürs Asylrecht zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorlegen.