Warum Angriffe auf Journalisten die Demokratie gefährden
Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist im Grundgesetz verbrieft, und die Polizei hat die Aufgabe, die Durchsetzung dieses Rechts zu schützen. Das gilt auch für extreme Gruppierungen, die nicht verboten sind. Radikale vom rechten oder linken politischen Rand dürfen genauso auf die Straße gehen wie Islamisten. Nicht immer ist das frei von Konflikten mit Gegendemonstranten, die Gewalt nimmt zu. Aber auch die Angriffe auf neutrale Berichterstatter der Medien sind inzwischen an der Tagesordnung. Verletzte Kolleginnen und Kollegen sind leider keine Ausnahme mehr. Zuweilen gibt es regelrechte „No Go Areas“ für Journalistinnen und Journalisten.
No Go Areas für Journalisten
Das ist ein politisches Problem. Darüber diskutiert die Basis des DJV schon lange. Nachdem ich im November 2015 zum Bundesvorsitzenden dieser größten Journalistenorganisation in Deutschland gewählt wurde, habe ich das Problem angepackt. Die Frage war, wie wir öffentliche und vor allem politische Aufmerksamkeit für das Thema erreichen. So wurde die Idee zum Blog augenzeugen.info geboren.
Wir haben Kolleginnen und Kollegen dazu aufgerufen, das zu tun, was bisher eher als unfein galt: In eigener Sache zu berichten. Zu schildern, welche Erlebnisse sie vor Ort hatten. Wie sie mit Flaschen, Steinen oder Feuerwerkskörpern beworfen werden, wenn sie ihre Arbeit machen. „Ich habe mal erlebt, dass die Polizei die Journalisten komplett vom Neonazi-Aufmarsch weg haben wollte, weil sie gesagt hat: Ihr provoziert uns die Neonazis, dann haben wir die nicht unter Kontrolle“, berichtet beispielsweise Michael Klarmann: „Da war es also nötig, dass viele Leute intervenieren mussten, damit man überhaupt zur Berichterstattung ran kommen konnte. Ich weiß auch, dass es Polizisten gibt, die sagen, wir wollen hier keine Journalisten. Die quasi den Rechten ein bisschen ‚zuspielen‘.“
Pegida- und AFD-Demos sind das Hauptproblem
In dem Blog augenzeugen.info geht es uns nicht darum, bloßes Zahlenmaterial zu veröffentlichen. Wir wollen uns die Medientechniken von Emotionalisierung und Personalisierung zunutze machen. Es geht aber nicht nur darum, immer wieder exemplarisch unsere Situation zu beschreiben. Wir wollen auch etwas verändern. Deshalb suchen wir das Gespräch mit Politikern und Experten, mit Polizei und Justiz. In Gastbeiträgen oder Interviews schaffen wir Aufmerksamkeit.
Zahlenmäßig sind rechtsextreme und rechtspopulistische Kundgebungen unser Hauptproblem. Im Umfeld von Kundgebungen von Pegida und AFD werden Journalistinnen und Journalisten beschimpft, eingeschüchtert und angegriffen. Fabian Virchow, Leiter der Forschungsstelle Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf, spricht in diesem Zusammenhang von einer „Eskalation, die sich in den letzten zwölf Monaten abzeichnet“. Im Interview mit augenzeugen.info berichtet er, dass in der rechtsradikalen Szene „Gewalt als ein legitimes Mittel angesehen wird, sofern damit – nach eigener Wahrnehmung – Unbill vom ‚deutschen Volk‘ abgewendet werden kann“.
Die steigende Zahl rassistischer Gewalttaten verweise darauf, so Virchow, dass dort die Entwicklung des letzten Jahres als apokalyptische Vorstellung und Bedrohung gesehen wird, der man sich auch mit dem Mittel der Gewalt entgegenstemmen müsse. Das führe zu entsprechenden Akten rassistischer gewaltsamer Selbstermächtigung.
Offene Ohren bei der SPD
Die Mischung aus Augenzeugenberichten, Gastbeiträgen und Interviews trägt aus unserer Sicht nicht nur zu einem kollegialen Austausch bei – sie dient gleichzeitig auch als ständiges Gesprächsangebot an die zuständigen Institutionen. Und das klappt: So hat der Thüringer Innenminister Horst Poppenhäger (SPD) ein besonders offenes Ohr für die Herausforderungen gezeigt, vor denen wir stehen. In Gesprächen mit dem DJV hat er konkrete Schritte zugesagt, um unsere Arbeit zu erleichtern.
So sensibilisiert der Thüringer Polizeiinspekteur in Chefgesprächen mit Polizeidirektoren für die Belange von Medienvertretern, das Thema wird in den Einsatzbesprechungen von Demonstrationen offensiv angesprochen, es gibt Treffen von Journalisten mit Polizeisprechern, Bereitschaftspolizisten und Einsatzleitern. Der DJV Thüringen wird außerdem die journalistische Arbeit vor Polizeianwärtern in der Ausbildung vorstellen.
Die Arbeitsgruppe „Kultur und Medien“ der SPD-Bundestagsfraktion hat sich die Probleme von Journalistinnen und Journalisten bei zugespitzten Demonstrationslagen nicht nur selbst vom DJV erläutern lassen, er hat auch eine entsprechende Anhörung im zuständigen Bundestagsausschuss mit initiiert. Und in der SPD-Medienkommission stießen wir ebenso auf offene Ohren. Mit Abgeordneten der anderen im Bundestag vertretenen Parteien sind wir ebenfalls in konstruktiven Gesprächen. Und die Medien greifen unser Thema intensiv auf, erwähnen auch immer wieder den Blog augenzeugen.info.
ist Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Er arbeitet selbst als freier Journalist für WDR und ARD sowie verschiedene Print- und Onlinemedien. An der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (Köln/Berlin) lehrt er Journalismus und Politik.