Inland

Wahlkampf pur im gespaltenen Dresden

In der heißen Wahlkampfphase heißt es Zähne zusammenbeißen, auf der Straße kämpfen die Kandidaten um jede Stimme. Eva-Maria Stange hat diesen Kampf angenommen. Die 58-Jährige will Oberbürgermeisterin werden und scheut auf dem Weg dahin keine noch so schwere verbale Auseinandersetzung.
von Robert Kiesel · 5. Juni 2015

Es ist ein sonniger Morgen in Dresden, vom nahe gelegenen Wochenmarkt weht der Geruch von gegrilltem Hähnchen und frischen Brötchen herüber, es ist warm. Perfekte Wahlkampfbedingungen, eigentlich. Für Eva-Maria Stange (SPD) wird es dennoch ein turbulenter Vormittag. Im konservativen Sachsen, zumal in der seit 1945 nie wieder von der SPD regierten Landeshauptstadt, haben Sozialdemokraten traditionell einen schweren Stand. „Die Leute sind insgesamt sehr reserviert, reagieren zurückhaltend, wollen mit Politik am liebsten nichts am Hut haben“, fasst es Jürgen Dudeck zusammen. Der Mann ist 70 Jahre alt und Dresden geboren, er muss es wissen. Kurz vor der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl in seiner Stadt am 7. Juni drückt der Bündnisgrüne Dudeck Eva-Maria Stange die Daumen. An diesem Morgen unterstützt er sie am Wahlkampfstand.

Das ist nicht etwa ein Affront gegen die eigene Partei, ganz im Gegenteil. Weil Anfang des Jahres parteiunabhängige Dresdner die Initiative „Gemeinsam für Dresden“ gründeten und SPD, Die Linke, Bündnis90/Die Grünen und Die Piraten sich auf eine gemeinsame Kandidatin einigten, ziehen jetzt alle an einem Strang. Für einen „Aufbruch“, für „Neugierde, Weltoffenheit und ein neues Miteinander“ heißt es offiziell. Spitzenkandidatin der Initiative ist Eva-Maria Stange. Mit der amtierenden sächsischen Wissenschaftsministerin an der Front soll der CDU der Posten des Oberbürgermeisters abgejagt werden. In Greifswald war dem Kandidaten einer solchen Wählervereinigung dieser Coup Anfang Mai gelungen. Stange soll dieses Kunststück nun wiederholen.

Keiner wird zurückgelassen

Auf dem Weg dorthin gibt es einige Hindernisse zu überwinden, auch Begegnungen der unfreundlichen Art gehören dazu. So wie an diesem Morgen: „Die ist so richtig herrisch“, entfährt es einem Passanten beim Blick auf das plakatierte Konterfei von Eva-Maria Stange. Wenige Sekunden später, Stange steht direkt vor ihm, wiederholt er: „Sie sind herrisch.“ Eine freundliche Begrüßung klingt anders. Eva-Maria Stange ficht das nicht an. Sie lächelt, kontert mit ihrer seit 37 Jahren haltenden Ehe, so herrisch könne sie da wohl kaum sein. Punkt für die Kandidatin. Von der Ehe wechselt das Thema ohne Umwege auf die Hundesteuer, die dürfe auf keinen Fall erhöht werden, so der Mann. Es entwickelt sich ein netter und ganz und gar nicht herrischer Plausch, zum Abschied reichen sich beide die Hände. Sogar die besten Wünsche des Mannes für den Wahltag darf Eva-Maria Stange entgegen nehmen.

Wie sie das macht? „Wir dürfen keinen aufgeben, müssen auch die härtesten Kritiker zurückkriegen“, erklärt Stange. Häufig würden die Leute ihre ganz generelle und meist aus persönlichen Erfahrungen genährte Frustration über Politik oder Verwaltung zum Ausdruck bringen, frei von jedem Bezug zu ihrer Person. Sie weiß, wovon sie spricht. „Wenn Sie am Sonntag gewählt werden, ist das der Untergang für Dresden“, brüllt ihr wenig später ein sichtlich erregter Passant entgegen. Als „Nazi“ habe sie ihn und Tausende andere Dresdner diffamiert, das müsse er sich nicht gefallen lassen. In Wirklichkeit hatte Stange in einem Zeitungsinterview erklärt, mit Menschen wie Lutz Bachmann oder Tatjana Festerling keine Gespräche zu führen. Die beiden Pegida-Anführer seien in ihren Augen ausländerfeindlich. Stange gibt auch ihn nicht verloren, versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen. Diesmal scheitert sie. In scharfem Ton schwadroniert der Mann über „Verhältnisse wie in Frankfurt oder Hamburg“, in denen die Bevölkerung schon „ausgetauscht“ sei. „Mit Ihnen als Bürgermeisterin droht Dresden genau das“, so der Mann. Auch die „SED-Keule“ – Stange war von 1981 bis 1988 Mitglied der Partei und bekennt das öffentlich – darf nicht fehlen. Widerspruch zwecklos. „Teilweise wollen die Leute ihrem Ärger einfach nur Luft machen, da führt kein Weg rein in ein vernünftiges Gespräch“, so Stange. Doch sie bleibt dabei: Keiner wird zurückgelassen.

Pegida sorgt für Polarisierung in Dresden

Mit dem Stichwort Pegida verbindet sie dann auch ihr großes Ziel für die anstehende Wahl: „Wir brauchen eine hohe Wahlbeteiligung. Nur so können wir die Stimmen für die Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling auffangen. Darum geht es mir“, erklärt Stange. Und nein, Festerling sei keine ganz normale Kontrahentin, die spürbare Polarisierung in der Stadt sei auch ihr „Verdienst“.

So sind es die kleinen Erfolge, die Eva-Maria Stange und ihr Team motivieren. Einen solchen erleben sie auch diesem Morgen. Nach einem knapp 20-minütigen Gespräch mit einer um die Bildung ihrer Kinder besorgten Mutter sichert diese Eva-Maria Stange ihre Unterstützung zu. „Anstrengendes Gespräch, aber eine Stimme gewonnen“, entfährt es der
Spitzenkandidatin spontan. Für einen kurzen Moment ballt sie vor Freude sogar die Hand zur Faust.

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Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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