Inland

Wahlkampf gegen Angst und Misstrauen im Kohlerevier Lausitz

Es ist die Heimat von Brandburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben: die Lausitz. Im Wahlkreis des CDU-Herausforderers kämpft auch SPD-Kandidatin Gabi Theiss um ihr Landtagsmandat. Wahlkampf in einem Braunkohlerevier, das mitten im Strukturwandel steckt.
von Benedikt Dittrich · 12. Juli 2019

Wenn am 1. September in Brandenburg gewählt wird, werden auch in der Lausitz neue Landtagsmitglieder bestimmt. Dietmar Woidke, Ministerpräsident Brandenburgs, Ingo Senftleben, Spitzenkandidat der CDU – sie beide stammen aus dem Braunkohlerevier. Während Woidke im Wahlkreis Spree-Neiße 1 antritt, kämpft im Wahlkreis 38, Oberspreewald-Lausitz 1 Gabi Theiss gegen Senftleben.

Im Mittelpunkt des Wahlkampfs steht die Region nicht wegen der prominenten Namen, denn in dem Braunkohlerevier passiert auch so genug: Die Region steckt mitten im Strukturwandel. Eine Region, in der seit über 200 Jahren Kohle abgebaut wird. Auch heute noch decken Kraftwerke wie Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe zehn Prozent des Energiebedarfs in Deutschland ab, von dem schwarzen Gold im Boden sind noch weitere Industriezweige abhängig.

Ein weiterer großer Arbeitgeber ist der Chemiekonzern BASF mit seinem Standort in Schwarzheide. Doch in Zukunft sollen erneuerbare Energien, Hochtechnologie und andere Wirtschaftszweige Arbeit und Wohlstand in der Region sichern. 2038 soll keine Kohle mehr zur Stromerzeugung abgebaut werden, so hat es die Kohlekommission beschlossen, einige Tagebaue schließen schon früher.

Angst vor einer zweiten Wende

Eine Situation, die viele Menschen verunsichert, weiß Gabi Theiss, die im Wahlkreis „Oberspreewald-Lausitz 1“ schon zum dritten Mal antritt. „Die Menschen wollen nicht noch einmal dasselbe durchleben, was sie schon nach 1990 durchmachen mussten“, sagt die Sozialdemokratin. Damals wurden viele Braunkohle-Tagebaue geschlossen und Kraftwerke stillgelegt, zehntausende Menschen verloren mit dem Zusammenbruch der DDR-Industrie schon kurz nach der Wende ihre Arbeit.

Entsprechend skeptisch werden die Beschlüsse der Kohlekommission beäugt, weiß Theiss. „Die Menschen hier sind nicht doof“, sagt sie, „sie wissen, dass es hier nicht unendlich viel Kohle gibt.“ Aber es sind eben immer noch viele gut bezahlte Industrie-Arbeitsplätze, die auch heute noch von der Braunkohle abhängen. „Die bedienen auch die nachrangige Wirtschaft“, sagt Theiss. „Wer gut verdient, tapeziert seine Wand zuhause nicht selber, sondern ruft einen Maler.“

Als dann CSU-Bundesminister Andreas Scheuer im Juni laut darüber nachdachte, noch früher aus der Kohleverstromung auszusteigen, sorgte das für jede Menge Unruhe unter den Lausitzer Kohle-Kumpels, weiß Theiss: „Das bringt die Leute hier auf die Palme!“ Die Debatten über CO2-Steuern und steigende Energiepreise würden die Menschen zusätzlich verunsichern. Mindestens der ausgehandelte Kompromiss mit dem Ausstieg in 2038 sollte eingehalten werden, meint die Lausitzerin. „Und wenn es bis dahin keine vernünftigen Speichertechnologien gibt, sollte die Übergangszeit lieber verlängert als verkürzt werden.“

Theiss kandidierte schon 2014 gegen den CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben, damals fehlten ihr nur wenige hundert Stimmen für das Direktmandat. Sie zog über die Landesliste der SPD in den Potsdamer Landtag ein. Ihr Rezept für den Wahlkampf jetzt: „Reden, reden, reden und zuhören.“ Beim Dorffest mit den Menschen sprechen, beim Einkauf das Gespräch suchen. Ihr Bürgerbüro in der Stadt Ruhland liegt direkt neben der Sparkasse, ist ebenerdig. „Unsere Tür steht immer offen“, sagt sie. In Ruhland sitzt obendrein, darüber freut sich Theiss besonders, mit dem 26-jährigen Thomas Höntsch seit kurzem Brandenburgs jüngster Bürgermeister im Rathaus, auch ein Sozialdemokrat.

„Manchmal kommen die Menschen auch einfach nur, um sich auszukotzen“, weiß die Pädagogin über die Gespräche mit Bürgern vor Ort, das gehöre eben dazu, genauso wie die schönen Veranstaltungen. Gerade erst war sie zusammen mit Woidke beim Sommerfest im kleinen Ort Freuendorf. „Da war eine so schöne, positive Grundstimmung“, sagt Theiss, bis spätabends saß sie noch mit Besuchern, Anwohnern und Ministerpräsident Dietmar Woidke zusammen.

Ein Patentrezept gegen die im Osten starke AfD hat sie nicht, sagt sie. Oft würde es aber schon helfen, zu erklären, wer für die rechtspopulistische Partei in Brandenburg kandidiert. „Wir müssen die Menschen überzeugen, dass wir die Besseren sind“, sagt sie selbstbewusst, „mit Ehrlichkeit und Bodenständigkeit.“ Denn darauf würden die sturköpfigen und hartnäckigen Lausitzer wert legen.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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