Wahl in Meck-Pomm: Was bedeutet der Erfolg der AfD?
„Schreck-Pomm“ titelte die BILD – entsetzt, empört, entgeistert: Auf das AfD-Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern haben so auch viele in den sozialen Netzwerken, Parteizentralen und Leitmedien reagiert. Die Rechtspopulisten erreichten aus dem Stand 20,8 Prozent der Stimmen; wird die Nichtwählerschaft mit einberechnet, dann haben 13 Prozent der Bevölkerung die Rechtspopulisten gewählt. Nur 24 Prozent der AfD-Wählerschaft gab an, die Partei aus Überzeugung gewählt zu haben: der Rest aus Protest gegen die etablierten Parteien. Der harte Kern der AfD-Anhängerschaft umfasst demnach weniger als vier Prozent der Bevölkerung – so viel zum antipluralistischen Anspruch der Rechten, die grölen: „Wir sind das Volk“.
Erfolg der AfD war erwartbar
Schuld am Wahlausgang seien die Kanzlerin und die Migrationspolitik; Deutschland habe sich, so liest man derzeit allenthalben, im letzten Jahr grundlegend verändert, was sich auch jetzt bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeige. Tatsächlich gibt die AfD den Herausforderungen der demokratischen Kultur eine parteipolitische Gestalt, aber überraschend kam sie nicht.
Rechtsextreme Ideologiefragmente und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind Teil dieser Gesellschaft. Eine von Helmut Schmidt 1980 in Auftrag gegebene Einstellungsstudie gab Auskunft, dass über 13 Prozent der westdeutschen Bevölkerung über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügten. Die Hälfte der Bevölkerung sei empfänglich für rechtsextreme Positionen. Die Instrumente und Zahlen variieren, aber der Befund, dass menschenfeindliche und antidemokratische Einstellungen in großen Teilen der Gesellschaft bundesweit anzutreffen sind, wurde in den letzten Jahrzehnten mit erschreckender Regelmäßigkeit bestätigt. Zuletzt haben die Forscher der Uni Leipzig herausgestellt: Zwar ist die Abwertung gegen Asylsuchende gestiegen, aber klassisch rechtsextreme Einstellungen sind relativ konstant geblieben. 2010 ergaben Umfragen im Zuge der Sarrazin-Debatte: Jeder fünfte Deutsche würde eine rechtspopulistische Partei wählen – vor der Griechenland- und Migrationskrise, durch die nationalistische Narrative an Bedeutung gewonnen haben.
Latente Einstellungen werden in Wahlverhalten umgesetzt
Rechte Proteste, Gewalttaten und die Wahlerfolge der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen „Alternative für Deutschland“ zeigen vor allem, dass die Bereitschaft gewachsen ist, latente Einstellungen in politische Handlungen umzusetzen. Dies wirbelt die etablierte Parteipolitik durcheinander. CDU und SPD haben die vielen Analysen über rechte Potenziale in der Gesellschaft nicht zum Anlass genommen, um Gegenstrategien in ausreichendem Maße zu erarbeiten und umzusetzen. Dies rächt sich nun.
Es greift zu kurz, die Wahlerfolge der Reaktionären ausschließlich der Migrationspolitik der Kanzlerin oder der Sozialpolitik der SPD zuzuschreiben. Denn neu ist die demokratische Schere nicht, die zwischen unseren offiziellen liberalen Grundwerten und den autoritären, nationalistischen Tendenzen in der Gesellschaft klafft – gerade in den neuen Bundesländern. Aus diesen Potenzialen speist sich die Wählerschaft der AfD, die zunehmend, aber keineswegs ausschließlich, junge enttäuschte Männer mit chauvinistischen Anspruchsdenken mobilisiert.
Kümmert euch um die Ambivalenten und Unentschlossenen!
Die kommende Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern muss Politik für alle Wähler und Nichtwähler machen – auf Grundlage der Verfassung und mit der Aufgabe, die demokratischen Grundwerte zu verteidigen – und dabei auch in Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung treten: Mehr Bildung, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Präsenz von Staat und Politik im ländlichen Raum sind wichtige Bausteine, um die AfD langfristig wieder zu schwächen. Die Parteien im Schweriner Landtag werden weiterhin um Stimmen werben – um neue Wählergruppen, aber auch um das drei Viertel der Wählerschaft, das der sozialen Polarisierung zum Trotz den etablierten demokratischen Parteien am 4. September die Stange gehalten hat.
Statt auf Wählerwanderungen zur AfD im Nachkommabereich zu schielen, sollte verstärkt und ernsthaft die Mehrheit der Nichtwählerschaft für die repräsentative Demokratie wiedergewonnen werden. Auch darunter sind viele, die sich als abgehängt und ignoriert wahrnehmen, und dennoch nicht die Rechtspopulisten wählen. Liebe Volksparteien: Kümmert euch um die Ambivalenten und Unentschlossenen, um die für Sachargumente noch Erreichbaren, statt in bitterer Konkurrenz mit der AfD die eigenen Grundwerte über Bord zu werfen. Die AfD hat nun die Aufgabe, 21 Prozent der Wähler zu repräsentieren, unter denen – siehe oben – vermutlich viele rechtsextrem eingestellt sind. Wie viel Raum werden die etablierten Parteien solchen Positionen einräumen?
AfD vor allem auf dem Land stark
Viele diskutieren die Bedeutung der MV-Wahl für die Bundestagswahl, obwohl jeder weiß: Der Bundestag wird in den alten Bundesländern gewonnen. Dort hat es eine völkisch-nationalistische AfD deutlich schwerer und bemüht sich daher um moderate Töne. Kluges Agieren der Etablierten im Schweriner Landtag kann dazu beitragen, dass die AfD die Maske angeblicher „Ideologiefreiheit“ noch vor der heißen Wahlkampfphase fallen lässt. Bevor der Bundestag gewählt wird, folgen die Wahlen zu den Landesparlamenten in Berlin am 18. September sowie im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr. Stärker als Mecklenburg-Vorpommern gilt Berlin als richtungsweisend und symbolisch bedeutsam: Schaffen es die Rechtspopulisten auch in der kosmopolitischen, internationalen und interkulturellen Metropole, zweistellige Ergebnisse zu erreichen?
Schon NSDAP und NPD haben Wahlen vor allem in ländlichen Regionen gewonnen, nicht in urbanen Zentren. Die AfD ist dort stark, wo zuvor viele Menschen die nun nach zehn Jahren aus dem Schweriner Landtag geflogene NPD gewählt haben. Prognosen sehen die AfD in Berlin bei zehn Prozent; in Mecklenburg-Vorpommern waren die Umfragen sehr präzise. In Rostock, der einzigen Großstadt in MV, lag die AfD mit 17,3 Prozent insgesamt deutlich unter dem Landesschnitt.