Vorstoß für AfD-Verbotsverfahren aus Bremen: „Einer muss jetzt mal anfangen“
Die Regierungsfraktionen in Bremen streben ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD an. Als Grundlage soll der Verfassungsschutz eine Materialsammlung anlegen. „Ich möchte mir nicht eines Tages vorwerfen lassen: Hätten wir bloß eher reagiert“, sagt SPD-Fraktionschef Mustafa Güngör.
imago | Noah Wedel
Kommt ein AfD-Verbotsverfahren? Mustafa Güngör, Vorsitzender der SPD-Fraktion in Bremen, ist optimistisch.
In Bremen spielt die AfD bisher keine sonderlich große Rolle. In der Bürgerschaft ist sie seit der Wahl im vergangenen Jahr gar nicht mehr vertreten. Was hat Sie bewogen, diesen Vorstoß für ein mögliches Verbot der Partei zu unternehmen?
Es geht nicht darum, wie groß die Gefahr ist, die derzeit in Bremen von der AfD ausgeht. Die ist tatsächlich im Moment eher gering, weil es die Partei nicht geschafft hat, hier zur Landtagswahl 2023 eine wahlrechtskonforme Liste vorzulegen. Aber gerade das prädestiniert uns doch dafür, ohne Scheuklappen deren bundesweite Entwicklung in den Blick zu nehmen.
Spätestens das Anfang des Jahres bekannt gewordene Geheimtreffen in Potsdam hat uns vor Augen geführt, was die AfD mit ihren Remigrationsfantasien wirklich im Schilde führt – und was sie in die Tat umsetzen wird, wenn sie die Möglichkeit dazu in Deutschland bekommt.
Nun kommen die heute veröffentlichten Recherchen des Bayerischen Rundfunks über offenbar mehr als 100 rechtsextreme Mitarbeiter*innen in der Bundestagsfraktion hinzu. Deshalb müssen wir jetzt überprüfen, ob sich die AfD noch auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt – und sie aufhalten, wenn dem nicht so ist. Mit allen Mitteln des Rechtsstaats, die uns zur Verfügung stehen. In Bremen nehmen wir damit eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Rechtsextremismus ein.
Welche Befürchtungen haben Sie konkret in Bezug auf das Handeln der AfD?
Rechtsextremistische Parteien höhlen die Verfassung auf Dauer aus, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu lässt. Was wir aus anderen Ländern bereits kennen, droht mit der AfD auch bei uns. Wichtige Köpfe der Partei vertreten eindeutig rassistische und rechtsextremistische Positionen. Durch weitere Bürgermeisterämter oder gar Regierungsbeteiligungen in Ländern und im Bund könnte sie zunehmend Exekutivgewalt sowie Einfluss auf die Gesetzgebung und Rechtsprechung bekommen. Ich möchte mir nicht eines Tages vorwerfen lassen: Hätten wir bloß eher reagiert!
Aber stärkt man mit einem solchen Verfahren am Ende nicht sogar die AfD, weil sie sich als Opfer der anderen Parteien stilisieren kann?
Diesen Vorwurf höre ich häufiger, doch ich halte ihn für absolut falsch. Erstens: Die NSDAP konnte auch deshalb die Macht übernehmen, weil die Weimarer Republik damals eine falsch verstandene Toleranz gegenüber den Antidemokraten an den Tag gelegt hat. Daraus sollten wir gelernt haben.
Zweitens: Ich kann nicht erkennen, dass unsere Strategien der letzten Jahre uns davor bewahrt haben, dass sich die AfD schon längst in einer angeblichen Opferrolle gegenüber den von ihr so genannten Altparteien suhlt.
Und drittens: Dass ein Scheitern des Verfahrens die AfD weiter stärken könnte, ist doch so, als wenn ich mich nicht gegen einen Angriff wehren würde aus Angst, ich könnte diesen Kampf verlieren. Diese Haltung ist doch total verrückt!
Erster Schritt ihres Antrags ist nicht die Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens, sondern zunächst das Anlegen einer Materialsammlung. Was versprechen Sie sich davon?
Wenn es die politischen Mehrheiten hergeben würden, wäre die Beantragung eines Verbotsverfahrens auch jetzt gleich schon möglich. Notwendige Voraussetzung ist allerdings, dass den Verfassungsschützer*innen ausreichend Material vorliegt, das zusammengetragen und ausgewertet werden muss. Das wollen wir mit unserem Antrag erreichen.
Wenn sich alle 17 Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes zügig in einen Arbeitsprozess begeben, ist eine Menge gewonnen – und zwar so schnell wie möglich. Jeder Tag, den eine solche Sammlung später beginnt, ist ein verlorener Tag.
Wie schätzen Sie die Chance ein, im Bundesrat eine Mehrheit für ein AfD-Verbotsverfahren zustande zu bekommen?
Ich denke, die Chance ist da – wenn es alle ernst meinen! Einige unionsgeführte Bundesländer – zum Beispiel Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen – hatten sich ja bereits grundsätzlich offen gezeigt. Ich bin zuversichtlich, dass bei ausreichend Belegen für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD eine Mehrheit im Bundesrat zustande kommen wird. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist nach meinen Rückmeldungen sehr groß. Entscheidend ist doch: Einer muss jetzt mal anfangen!
Am Mittwoch wird aller Voraussicht nach das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden, ob der Verfassungsschutz die AfD als „Verdachtsfall“ einstufen darf. Welchen Einfluss hätte das auf Ihren Antrag?
Wenn das Gericht die Vorinstanz bestätigt, würde das natürlich gewaltigen, objektiven Vorschub leisten. Und davon gehe ich sicher aus!
Aber selbst, wenn das Oberverwaltungsgericht anders entscheidet, würden wir unseren eingeschlagenen Weg weiterverfolgen. Immerhin wird die AfD bereits in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Während ein Verbotsverfahren gegen die AfD in Ihrem Antrag erst der zweite Schritt ist, fordern Sie darin klar ein Verbot der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“. Warum?
Der Verfassungsschutz hat die „Junge Alternative“ bereits in Gänze als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft. Jetzt hat das Verwaltungsgericht Köln dem recht gegeben. Und bei dieser Jugendorganisation scheint die Hürde für ein Verbot auch nicht so hoch wie bei der AfD selbst – weil sie ein Verein ist, den das Bundesinnenministerium womöglich verbieten kann.
Ob hier ist das so genannte Parteienprivileg greift, ist deshalb so schnell wie möglich zu klären. Ich selbst sehe alle Anhaltspunkte für ein Verbot gegeben und hoffe, dass es jetzt schnell dazu kommen wird.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.