Die Deutschen sind die dicksten Europäer. Diese Meldung geisterte kürzlich durch die Presse. Selbst wenn das so nicht stimmt: Übergewicht ist ein wachsendes Problem. Gerade in den reichen
Industrienationen und ganz besonders bei sozial schwachen Bevölkerungsschichten. Ein mangelndes Bewusstsein darüber, was gegessen wird, ist nicht zuletzt ein Problem der unzureichenden
Kennzeichnung auf Verpackungen.
Die Nährwertkennzeichnung müsse verpflichtend sein, und sie müsse vereinheitlicht werden, ist MdEP Karin Scheele, Sozialdemokratische Fraktion, Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen,
Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, überzeugt. EU-weit solle "gleicher Konsumentenschutz für alle gelten". MdB Manfred Zöllner (SPD) sieht das genauso. Gute Kennzeichnung alleine werde aber
nicht reichen, ein Verständnis über Ernährungsfragen sei nötig, so Zöllner. Bildung spiele ebenfalls eine bedeutende Rolle.
Ampellösung?
Ein funktionierendes Modell stellte Claire Boville, von der britischen Lebensmittelbehörde Food Standard Agency (FSA), vor. Die britische Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln wurde vor zwei
Jahren eingeführt - bisher nur auf freiwilliger Basis und für Fertiggerichte. Gerade jene Lebensmittel, die besonders "undurchsichtig" sind, und in sozial schwachen Schichten häufig konsumiert
werden.
An der Vorderseite der Verpackung sind neben der Kalorien, die "big four" vermerkt: gesättigte Fettsäuren, Fett, Salz und Zucker. Die Ampelfarben grün, gelb und rot, zeigen bei jedem der "big
four" ob der Gehalt daran niedrig, mittel oder hoch ist. (Die Bereiche wurden von unabhängigen Ernährungswissenschaftlern festgelegt.)
"Auf einen Blick", so Claire Boville, könnten die Konsumenten Produkte bewerten und vergleichen. Überall gelten dieselben Werte. Und 100 Gramm ist stets die Referenzmenge. Diese effektive Art
der einfachen Information helfe dem Verbraucher, "sich für eine gesündere und ausgewogene Ernährung zu entscheiden." Das Bewusstsein über Nährwerte werde auf diese Weise verstärkt. Große Ketten wie
"Sainsbury's" oder "Boots" wenden das System bereits erfolgreich an. Konsumenten schätzen und nutzen es, wie die bisherigen Umfragen zeigen.
The Big Eight
Zu einfach sei das britische System. Es werde dem komplexen Thema Ernährung nicht gerecht, so Michael Warburg, Unilever Deutschland. Er vertrat einen Zusammenschluss von "Coca Cola",
"Kellogg's", "Danone", "Kraft", "Nestlé", "Pepsico", "Unilever" und "Masterfoods". Im Interesse des Verbrauchers, wie betont wird, wollen sie eine andere Regelung umsetzen. Selbstverpflichtend und
freiwillig soll das System des europäischen Verbandes der Lebensmittelindustrie (CIAA) eingeführt werden.
Auf der Vorderseite jeder Lebensmittelverpackung steht dann der Kaloriengehalt, und der Prozentsatz der empfohlenen Tagesdosis - Guideline Daily Amount (GDA) - den er ausmacht. Auf der
Rückseite findet der Konsument - falls er sie sucht - die Angaben zu den "big eight": gesättigte Fettsäuren, Fett, Salz, Zucker, Eiweiß, Ballaststoffe, Kohlehydrate und Kalorien. Wieder mit Angaben
zu den Prozent der empfohlenen Tagesdosis. Ausgegangen wird bei der GDA stets von einer Durchschnittsfrau mit 2000 Kalorien Tagesbedarf.
Klingt kompliziert? Michael Warburg bleibt dabei: "Wir wollen Transparenz und Information, keine Bewertung von Lebensmitteln". Dem britischen System wirft die Industrie nämlich vor, bestimmte
Lebensmittel zu stigmatisieren. Keineswegs werden dadurch ganze Lebensmittelgruppen gemieden, so Claire Boville. Aber das Bewusstsein darüber, dass man sie nicht zu häufig konsumieren sollte, sei
gewachsen. Klingt nach einem wünschenswerten Ziel - die Industrie kann das allerdings nicht überzeugen. "Wir werden es nicht schaffen, mit dem Etikett das Wissen über Ernährung zu verbessern", ist
Warburg sicher. Warum er dann gerade an dem komplizierten System festhält, erklärt er nicht.
Das Kleingedruckte
Der Vorschlag der Engländerin, die beiden Kennzeichnungsvarianten zu kombinieren, findet auch keinen Anklang bei der Industrie. Boville schlägt vor, die CIAA-Kennzeichnung der "big eight" in
den jeweiligen Ampelfarben zu hinterlegen - und so für Transparenz zu sorgen. Der Verbraucher hätte die Information, die er braucht, auf einen Blick. Und er würde unweigerlich ein Bewusstsein für
ausgewogene Ernährung entwickeln.
Denn so sehr die Industrie auch vorgibt, den Konsumenten umfassend informieren zu wollen: Weder die viel zitierten "bildungsfernen Schichten", noch die hektisch einkaufenden
Durchschnittsbürger werden sich mit einem komplizierten System beschäftigen. Was ganz offensichtlich auch das Ziel der Industrie ist. Wie bisher wird das Kleingedruckte kaum beachtet werden. Und
auf der Vorderseite der Verpackung hat Orangensaft immer noch ungefähr gleich viel Kalorien wie Cola. Und wie viel Trockenhuhn in der Tüten-Hühnersuppe ist, wollte schon bisher niemand wissen.
In diesem Sinne ist zu hoffen, dass bald eine EU-weite Regelung in Kraft tritt. Natürlich kann die Kennzeichnung von Lebensmitteln nur ein Schritt sein. Sie wird Bildung und Aufklärung über
Ernährungsfragen nicht ersetzten. Aber sie kann helfen, das Thema ausgewogene Ernährung stärker ins Bewusstsein zu bringen. Ansätze der Industrie - selbst wenn sie eine Reaktion auf anstehende
gesetzliche Änderungen sind - sind nicht schlecht. Sie ersetzen aber keine einheitliche Norm und Regelung durch Gesetze.
Birgit Güll
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