„Von der Leyen betreibt wieder einmal eine reine Ankündigungspolitik“
Die Bundesarbeitsministerin will die Dumpinglöhne bei Scheinwerkverträgen stoppen. Die SPD-Politikerin Anette Kramme hält das für ein Wahlkampfmanöver. Im Interview mit vorwärts.de erklärt sie, was zu tun ist.
vorwärts: Die gesetzlich vorgeschriebene Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer lässt sich umgehen, wenn die Unternehmen befristete Werkverträge vergeben. Das geschieht immer öfter. Was genau passiert da?
Anette Kramme: Werkverträge haben eine lange Tradition, jedoch werden sie zunehmend von Arbeitgebern genutzt, um Personalkosten zu reduzieren, bzw. den geltenden Mindestlohn für die Leiharbeit zu unterlaufen. Arbeitnehmer werden als Fremdpersonal in Betrieben eingesetzt. Entscheidend ist dabei, mit welchem Status ein Beschäftigter in einen fremden Betrieb kommt: als Leiharbeitnehmer oder als regulärer Arbeitnehmer, der bei einem Dritten beschäftigt ist. In dem Fall gelten oft weder Tarifverträge noch ein Mindestlohn.
Frau von der Leyen plant den Missbrauch bei Werkverträgen zu stoppen, indem sie die Position der Betriebsräte stärken will. Wie lässt sich diese Ankündigung bewerten, reicht das als Maßnahme aus oder ist das nur Wahlkampfmanöver?
Es handelt sich schlicht um ein Wahlkampfmanöver. Die Maßnahme ist unzureichend, nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt und darüber hinaus ist sie nicht mehr bis zum Ablauf der Legislaturperiode umsetzbar. Von der Leyen betreibt wieder einmal eine reine Ankündigungspolitik.
Was ist zu tun?
Den Missbrauch bei Werkverträgen zu begrenzen ist schwieriger als den bei Leiharbeit. Weil die gesetzlichen Regelungen bei Leiharbeit im Moment strikter sind als die für sonstiges Fremdpersonal in Unternehmen, brauchen wir eine Vermutungsregelung zugunsten der Leiharbeit.
Eine Vermutungsregelung?
Um im Vergleich zur Rechtsprechung mehr Übersichtlichkeit zu schaffen, haben wir als SPD-Bundestagsfraktion eine Vermutungsregelung als Gesetzesentwurf in erster Lesung in den Bundestag eingebracht. Dabei haben wir sechs Kriterien entwickelt. Werden drei davon erfüllt, wird angenommen, dass das Fremdpersonal im Zuge der Arbeitnehmerüberlassung im Betrieb beschäftigt ist. Dann greifen die Regelungen für die Arbeitnehmerüberlassung.
Bietet dieser Entwurf eine Möglichkeit, den missbräuchlichen Einsatz von Werkverträgen zu stoppen?
Es ist ein guter Ansatzpunkt. Wir brauchen im Übrigen die Angleichung der Spielregeln für Leiharbeit und Werkverträge. Dabei geht es beispielsweise darum, dass der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung von Fremdpersonal verweigern kann, wenn die eigene Belegschaft gefährdet ist. Es geht auch darum, dass vom Betriebsrat getroffene Vereinbarungen auch für Fremdpersonal gültig sind, das ist zurzeit nicht der Fall.
Würde ein gesetzlicher Mindestlohn auch bei Werkverträgen greifen?
Selbstverständlich.
Damit hätte der Missbrauch ein Ende?
Ja. Aber es ist nur ein Mindestlohn. Das heißt, ich kann über Werkverträge Arbeit immer noch weitaus billiger gestalten als in Bereichen mit Tarifverträgen.
Und wo sehen Sie momentan den größten Handlungsbedarf bei der Leiharbeit?
Der dringendste Handlungsbedarf liegt sicherlich in der Bezahlung der Leiharbeitnehmer. Es gibt zwar mittlerweile eine ganze Reihe von Tarifverträgen, die eine Annäherung des Lohnes an die Stammarbeitnehmer vorsehen. Seit Januar 2012 gilt für die Arbeitnehmerüberlassung auch eine verbindliche Lohnuntergrenze. Dennoch bleibt es dabei, dass viele Leiharbeitnehmer unangemessen vergütet werden. Wir müssen dafür sorgen, dass eine gleiche Bezahlung und eine gleiche Behandlung von Leiharbeitnehmern mit der Stammbelegschaft gewährleistet sind.
Anette Kramme ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht mit eigener Kanzlei. Sie ist Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für den Bereich Arbeit und Soziales und Mitglied im Bundesvorstand der SPD.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.