Inland

Von Atatürk bis Erdogan

von Die Redaktion · 7. Oktober 2005
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Der Orient und der Osten waren für Atatürk gleichbedeutend mit mittelalterlicher Rückständigkeit. Europa und der Westen dagegen standen für das Moderne. An dieser Grundausrichtung der 1923 gegründeten Republik hat sich bis heute nichts geändert.

Atatürk ersetzte als wöchentlichen Ruhetag den moslemischen Freitag durch den - christlichen - Sonntag. Er schaffte die arabische Schrift ab und verordnete den Türken das lateinische Alphabet, er verbot die osmanische Kopfbedeckung Fez und ordnete stattdessen das Tragen westlicher Hüte an. Die Gesetze der neuen Türkei wurden nach europäischen Vorbildern geschneidert. Die türkischen Frauen erhielten schon in den dreißiger Jahren das Wahlrecht.

Die Atatürk'sche Revolution war der Beginn des modernen türkischen Europa-Strebens. Die Türkei wurde schon 1952 - drei Jahre früher als Deutschland - NATO-Mitglied, 1963 schloss Ankara ein Assoziierungsabkommen mit der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläuferin der heutigen EU. Auch die drei Staatsstreiche der türkischen Militärs von 1960, 1971 und 1980 und der immer wieder aufflammende Kurdenkonflikt änderten nichts an dem Ziel der Türkei, eines Tages zu Europa zu gehören.

Der erste türkische Antrag auf Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft (EG) wurde 1989 jedoch abgelehnt. Eine Zäsur war das Inkrafttreten der Zollunion zwischen der Türkei und der EU 1996. Seit diesem Datum ist die Türkei wirtschaftlich eng an Westeuropa angebunden. Ein Jahr nach diesem Erfolg folgte jedoch ein weiterer Rückschlag für Ankara: Der Luxemburger EU-Gipfel vom Dezember 1997 lehnte es ab, die Türkei in den Kreis der Beitrittskandidaten aufzunehmen. Dies gelang erst zwei Jahre später, beim Gipfel von Helsinki im Dezember 1999. Die Türkei blieb allerdings jahrelang die einzige Beitrittsbewerberin, mit der die EU keine Beitrittsverhandlungen führte.

Nach dem Jahr 2000 setzte in der Türkei ein Reformprozess ein, der zu der Hoffnung auf einen baldigen Beginn dieser Verhandlungen berechtigte. Wichtige rechtliche Hindernisse wie die damals noch geltende Todesstrafe wurden aus dem Weg geräumt.

Nach dem Regierungsantritt der "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) von Recep Tayyip Erdogan im November 2002 beschleunigten sich die Reformen erheblich. In den Jahren 2003 und 2004 wurde die Meinungsfreiheit gestärkt, die politische Rolle der Militärs beschnitten und die kulturellen Rechte der Kurden erweitert. Die EU belohnte dies mit der Zusage, am 3. Oktober 2005 mit Beitrittsverhandlungen zu beginnen.

Thomas Seibert, Istanbul

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