Was ist Gutes Regieren, und können sich Politiker im Alltag auf Werte stützen? Heftig gestritten wurde darüber am Freitag auf dem Kongress „Politik und Werte“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Als „Skeptiker der Wertedebatte“ präsentierte sich Frank-Walter Steinmeier.
Über „Gutes Regieren“ sollen die Teilnehmer auf dem Podium am Freitagmorgen diskutieren – aber was heißt das überhaupt? Die landläufige Definition hält der Politikwissenschaftler Claus Offe jedenfalls für ein „äußerst dünnes Konzept“. Im Wesentlichen gelte als einziges Kriterium nämlich nur die Abwesenheit von Korruption, erklärt er. Und er macht einen Gegenvorschlag: „Gutes Regieren ist Politik, die dafür sorgt, dass demokratisch legitimierte und effektive Politik auch morgen noch möglich ist.“ Demokratische Staaten müssten ihre Handlungsfreiheit nachhaltig absichern, auch gegen private und ökonomische Interessen.
Diese Handlungsfreiheit sieht der Professor gefährdet. Durch die Globalisierung seien die Staaten in einen Wettbewerb um Wachstum und Arbeitsplätze getreten, sagt er. Dadurch stünden sie unter Druck, Steuern zu senken und Sozialleistungen abzubauen – oder die Abgabensenkungen durch Schulden zu finanzieren. Bedroht sei die Politikfähigkeit der Regierungen aber auch von innen, weil große Teile der Bevölkerung sich nicht mehr politisch beteiligen könnten oder wollten. Währenddessen griffen die Regierungen, getrieben von den Finanzmärkten, zunehmend zu autoritär-technokratischen Mitteln. „Gutes Regieren heißt, die fiskalischen Ressourcen und die demokratische Massenunterstützung aufrecht zu erhalten.“
Schwesig: „Politik muss Pflöcke einschlagen“
Manuela Schwesig, Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern, fehlt noch etwas anderes: Politiker müssten sich öfter auf Werte besinnen, sagt sie. „Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit müssen zusammenpassen“. Hier müsse die Politik auch einmal Pflöcke einschlagen, zum Beispiel mit einem Mindestlohn. „Auch das ist eine Wertefrage, hier geht es um den Wert der Anerkennung von Arbeit.“
Das sieht Thomas Schmid, Herausgeber der Zeitung „Die Welt“, anders. Freiheit und Gleichheit stünden im Widerspruch zueinander, argumentiert er. In der Adenauer-Zeit habe er erlebt, dass Parteien Werte in Sonntagsreden wie eine ideologische Front vor sich her geschoben hätten. Und noch etwas habe er anzumerken: Der Staat dürfe nicht zu mächtig werden. „Die Apparate des Staates sind zu sehr damit beschäftigt, den Sozialstaat auf Biegen und Brechen auszubauen.“ Ein Satz, der auf Widerstand stößt. „Das halte ich für ein Hirngespinst, oder habe ich etwas verpasst?“, entgegnet Claus Offe.
Steinmeier: „Werte werden instrumentalisiert“
Mit seinen Vorbehalten gegen die Wertedebatte steht Schmid dagegen nicht allein auf dem Podium. Auch der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Frank-Walter Steinmeier hat Schwesigs Worte mit steinerner Miene verfolgt. „Ich habe häufig erlebt, wie Werte instrumentalisiert werden, um politische Entscheidungen herbeizuführen“, hält er Schwesig entgegen. Dabei stünden Werte oft im Widerstreit zueinander. Zwei oder drei unterschiedliche Positionen zu einem Thema könnten allesamt mit Werten begründet werden. So sei es bei der Rentendiskussion aus Werten gar nicht abzuleiten, ob man nun die jüngere oder die ältere Generation mehr belasten müsse. Oder bei der Beschneidungsdebatte, ob man dem Kindeswohl oder der Religionsfreiheit Vorrang einräumen müsse. Die Realität sei so komplex, dass Werte allein nicht weiterhülfen. Da sei pragmatisches Handeln gefragt und die „Anstrengung der Vernunft“.
„Wir geraten mit unseren Werten täglich in Widersprüche“ gibt auch Schwesig zu. Das heiße aber nicht, dass es nicht lohnt, sie zum Maßstab zu machen. „Auch wenn sie mich jetzt für verträumt halten,“ sagt sie und schlägt vier Tugenden vor, die Politiker auszeichnen sollten. Es sind der Mut, mitzumachen, die Klugheit, an das Gute zu glauben und die Tapferkeit, für eigene Themen einzustehen. Und es ist Gerechtigkeit, die Schwesig so umschreibt: „Jeder trägt Verantwortung für die Gemeinschaft, aber die Gemeinschaft trägt auch Verantwortung für den Einzelnen.“
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.