Vietnamesen sind die besseren Migranten – stimmt das?
Thomas Koehler/photothek.net
In seinen Filmen greift Ngo Ngoc Duc, der „Regie“ an der Filmuniversität Babelsberg studiert, immer wieder das Thema „Heimat“ auf. Auch privat beschäftigt es ihn, schließlich wurde er 1988 in Hanoi geboren und verbrachte die ersten fünf Lebensjahre in Vietnam. Mit seiner Mutter kam er nach Deutschland. Der Familiennachzug machte es möglich. Der Vater war zuvor als Arbeiter in die DDR gegangen.
Berufsfelder erschlossen
Sein Sohn Duc lernte innerhalb von zwei Jahren Deutsch und schlug einen – im besten Sinne – unauffälligen Lebensweg ein, so wie die allermeisten Vietnamesen. „Ich finde, dass Vietnamesen gut integriert sind“, schreibt Ngo Ngoc Duc in dem Sammelband „Unsichtbar“, der sich mit der deutsch-vietnamesischen Migrationsgeschichte beschäftigt.
Schätzungen zufolge leben hierzulande 176.000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln. Sie gelten als umgänglich, fleißig und verlässlich. Statistische Daten stützen diese Ansicht. Dies sei beispielsweise anhand der Berufe erkennbar, sagt Olaf Beuchling von der Universität Magdeburg, der die Migrantengruppe untersucht hat. Die Vietnamesen hätten sich in Deutschland akademische Berufe erschlossen, vor allem im medizinischen Bereich als Ingenieure oder als Beamte.
Geprägt vom Konfuzianismus
Eine wichtige Rolle dafür spielt ihre positive Einstellung gegenüber der Bildung. Auch das belegen Zahlen. „Vietnamesische Schüler gehen häufiger auf das Gymnasium.“ Bei Tests schnitten sie in allen Bundesländern überdurchschnittlich ab. Es gebe kaum Sonder- oder Hauptschüler. Das hat einen Grund: „Für Vietnamesen ist die Bildung das Instrument, um gesellschaftlich erfolgreich zu sein“, erklärt Beuchling, der in Magdeburg den Lehrstuhl für Internationale und Interkulturelle Bildungsforschung leitet.
Die treibende Kraft dahinter ist die Philosophie des Konfuzianismus, der in Ländern wie China, Japan oder Korea tief verankert ist. Diesem Einfluss unterliegt auch Vietnam, das rund 1000 Jahre eine chinesische Kolonie war. Die Machthaber installierten dort ein Beamtenausbildungssystem, das von den Dörfern bis zum Kaiserhof reichte. Dieser Weg stand allen Menschen offen. „Wer engagiert war, hatte die Chance aufzusteigen.“
Druck von den Eltern
Diese Prägung ist präsent, auch bei den Vietnamesen in Deutschland. Filmemacher Ngo Ngoc Duc berichtet, dass er ein zielstrebiger Schüler gewesen sei. Die Eltern hätten zudem Druck gemacht. Er schreibt: „Wenn ich keine Hausaufgaben in der Schule hatte, gaben sie mir haufenweise Hausaufgaben.“ Sie hätten ihm sogar einen Nachhilfelehrer vermittelt. Sein Fazit: „Ich finde diese Erziehung total übertrieben, die in vielen asiatischen Familien immer noch präsent ist.“
Allerdings beobachtet Wissenschaftler Olaf Beuchling eine Veränderung: Die Fixierung auf Bildung lasse nach. „Vietnamesische Kinder, die nur noch deutsche Freunde haben und kulturell von ihrem deutschen Umfeld sehr geprägt sind, sind tendenziell nicht mehr so leistungsbereit“, sagt er.
Guter Ruf, schlechter Ruf
Der schulische und berufliche Erfolg führt dennoch dazu, dass Vietnamesen positiver wahrgenommen werden als andere Migranten. Allerdings ist diese Sichtweise laut Olaf Beuchling nicht vollständig. Er führt dafür ein Beispiel an: Italienisch- und türkischstämmige Schulkinder in Deutschland seien gleich erfolgreich, trotzdem genieße die erste Gruppe einen besseren und die zweite Gruppe einen schlechteren Ruf, so der Forscher. Offenbar gibt es also weitere Faktoren, die über das Ansehen entscheidet.
Außerdem stellt sich die Frage, welche Relevanz ein positiver Ruf überhaupt hat. „Nur weil sich Vietnamesen unauffällig verhalten und ihre Kinder besser in der Schule abschneiden, sagt das noch nichts über ihre gesellschaftliche Teilhabe oder über ihre Integration aus“, gibt Bengü Kocatürk-Schuster zu bedenken. Sie ist Mitherausgeberin des Buches „Unsichtbar“.
Besser integriert
Wie schnell das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Migranten kippen kann, zeigt gerade das Beispiel der Vietnamesen. „In den 1990er-Jahren war in Zeitungen die Rede von ‚Zigarettenmafia‘ und von ‚Killerbanden‘“, schildert Kocatürk-Schuster. Wohlgemerkt bezog sich das ausschließlich auf Vietnamesen in Ostdeutschland. Denn was von außen wie eine homogene Gruppe aussieht, sind in Wirklichkeit zwei. Ende der 1970er-Jahre flohen die sogenannten „Bootsflüchtlinge“ aus dem einst kapitalistischen Süden Vietnams. In Westdeutschland wurden sie als Flüchtlinge anerkannt und integrierten sich schnell. In der DDR lebten seit den 1980ern hingegen Vietnamesen aus dem Norden, die als „Vertragsarbeiter“ zum Geldverdienen in den „sozialistischen Bruderstaat“ gekommen waren.
Nach der Wende waren ihre Arbeitsverträge hinfällig. Daraufhin rutschte so mancher in die organisierte Kriminalität ab. Es kam zu Morden, worauf die westdeutschen Vietnamesen mit ihren Landsleuten nichts zu tun haben wollten. „Sie fürchteten um ihren guten Ruf“, sagt Olaf Beuchling. Seitdem habe sich die Situation beruhigt, die ostdeutschen Vietnamesen seien besser in die Gesellschaft integriert. Gleichzeitig hat sich das Ansehen der Vietnamesen zum Positiven verändert. Vergleichsweise unauffällig sind sie geblieben. Laut Bengü Kocatürk-Schuster ist vielleicht gerade das ihr Erfolgsgeheimnis.
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