Viel Publikum und prominente Redner: Mit seiner ersten öffentlichen Konferenz „Wohlstand von morgen. Wege zu einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell“ will der von SPD, Grünen und Gewerkschaften getragene Verein „Denkwerk Demokratie“ einen Diskurs über ein neues Wirtschaftsmodell beginnen.
Für den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel ist es kein Zufall, dass so unterschiedliche Regierungschefs wie Barack Obama und Benjamin Netanjahu unabhängig voneinander über die sozialen Zustände ihrer Länder reden. „Die Schäden des Marktradikalismus sind sichtbar,“ sagte er am Donnerstag auf einer Diskussionsveranstaltung des 2011 gegründeten Vereins „Denkwerk Demokratie“ in den Räumen der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und der EU in Berlin.
„Magisches Viereck“ als neues Modell
Vorab hatte das Netzwerk von Persönlichkeiten aus Gewerkschaften, der Sozialdemokratie, Bündnis 90/Die Grünen und Verbänden Antworten auf die Frage, wie ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell aus Sicht von Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft aussehen kann, in einem Diskussionspapier vorgelegt. Nach dem Vorbild des traditionellen "Magischen Vierecks" von Karl Schiller aus den 1960er Jahren, das auf Wachstum, Preisstabilität, eine hohe Beschäftigungsquote und auf außenwirtschaftliches Gleichgewicht setzte, werden dort von den Autoren vier neue Ziele definiert, die eine künftige Bundesregierung als Leitlinien für politisches und wirtschaftliches Handeln verbindlich festschreiben soll. Das Wort Nachhaltigkeit taucht darin gleich viermal auf: Mit sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sowie nachhaltigen Staatsfinanzen und einem nachhaltigen Wohlstand will man die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen reduzieren und die „Herrschaft der Märkte über die Demokratie“ bekämpfen.
Schnell zeichnet sich in den Diskussionsbeiträgen Einigkeit darüber ab, dass ökonomisches Wachstum und ökologisches Handeln keinen Gegensatz bilden. Den Vorwurf, dass die SPD mehr industriepolitisch ticke und weniger ökologisch, wies SPD-Chef Gabriel zurück. Schließlich habe man gemeinsam in der rot-grünen Koalition die Energiewende in Gang gesetzt, sagte er. Die SPD "wäre bekloppt", wenn sie behaupten würde, es gebe in diesen Fragen einen Haupt- und einen Nebenwiderspruch, fügte er hinzu. Doch um eine Veränderung herbeizuführen, müsse man den Menschen deutlich machen, welche Vorteile sie für sich daraus ziehen können.
Der Grünen-Spitzenkandidat und Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin formulierte die Folgen eines gesellschaftlichen Veränderungsprozesses drastischer: Es kann keinen Umbau ohne Verlierer geben, sagte er. Um ihnen Alternativen anzubieten, müsse man den Umbau schrittweise angehen. Politik mache nur Sinn, wenn sie ein Ziel definiere und die Schritte benenne, die dahin führten, so Trittin.
Politik in der Geiselhaft der Finanzmärkte
Hartmut Vogtmann, Präsident des Deutschen Naturschutzrings, zeigte sich skeptisch. Die Debatte um mehr Umweltschutz stamme aus den 70er Jahren. „Wo sind die politischen Konsequenzen?“, fragte er. Die Politik müsse endlich frei vom Diktat der Finanzmärkte handeln, fügte er hinzu.
„Die Politik darf nicht mehr die Getriebene sein“, erklärte auch Reiner Hoffmann, Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Noch immer gebe es keine europäische Ratingagentur, dafür aber drei amerikanische, so seine Bedenken.
Schon vor 150 Jahren habe die Arbeiterbewegung erkannt, dass das Kapital international organisiert sei, doch die europäische Sozialdemokratie mache noch immer in erster Linie nationale Politik, räumte Gabriel ein. Die Frage müsse sein, „wie wir einheitliche Rahmenbedingungen in Europa hinkriegen?“
So zeigte sich zum Ende der Diskussion vor allem eines: die große Schnittmenge zwischen Rot-Grün, die Gabriel mit dem Satz quittierte: „Besser als die jetzige Bundesregierung sind wir immer.“ Mit Blick auf die aktuellen Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen den USA und Europa war auch Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen und Vorstandsmitglied von Denkwerk Demokratie, überzeugt, dass es einen großen Unterschied mache, welche Koalition diese Verhandlungen führe. „Wir sollten uns von den damit vorhergesagten Wachstumszahlen nicht blenden lassen“, warnte sie. Die klassischen Instrumente der Statistik sagten wenig über die soziale Realität und die Lebensqualität in diesem Land aus. Sie repräsentierten lediglich ein „altes Denken“.
Hier geht's zum Diskussionspapier: Wir brauchen ein neues wirtschaftliches Gleichgewicht
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.