Verteidigungsministerin Lambrecht bittet den Kanzler um Entlassung
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Bereits seit Freitagabend pfiffen es die Spatzen von den Dächern der Hauptstadt: Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht stehe kurz vor dem Rücktritt, meldeten mehrere Medien zeitgleich. Am Montag nun ist es offiziell: Die Ministerin hat Bundeskanzler Olaf Scholz um ihre Entlassung gebeten. So heißt es in einer Erklärung aus dem Verteidigungsministerium. Der Kanzler hat der Bitte auf Entlassung unterdessen entsprochen. Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann erklärte dazu: „Der Bundeskanzler respektiert die Entscheidung von Frau Lambrecht und dankt ihr für die gute Arbeit, die sie in dieser schwierigen und herausfordernden Zeit als Verteidigungsministerin geleistet hat.“
Christrine Lambrecht schreibt in ihrer Erklärung „die monatelange mediale Fokussierung“ auf ihre Person lasse „eine sachliche Berichterstattung und Diskussion“ über Fragen der Bundeswehr „kaum zu“. Sie habe sich deshalb entschieden, ihr Ministeramt zur Verfügung zu stellen. „Die wertvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der vielen motivierten Menschen im Geschäftsbereich muss im Vordergrund stehen“, so die scheidende Ministerin. Ihnen wünscht sie „von Herzen alles erdenklich Gute für die Zukunft“.
Verheerende Berichterstattung von Anfang an
Christine Lambrecht zieht damit die Konsequenz einer verheerenden Berichterstattung über ihre Arbeit als Ministerin. In ihrer Amtszeit hatte sie von Anfang an eine ausgesprochen schlechte Presse. Immer wieder berichteten die Medien über so genannte „Fehltritte“ und „Pannen“. Die Kritik ging teilweise auch in den persönlichen Bereich, etwa ihre Schuhe oder ihre Fingernägel betreffend.
So gab es für die Ministerin keine sonst übliche 100-Tage-Schonzeit im neuen Amt. Als die „Bild“-Zeitung sie nach der Amtsübernahme befragte, ob sie bereits einen Oberleutnant von einem Oberstleutnant unterscheiden könne und die Ministerin ausweichend antwortete, wurde ihr sogleich Motivation und Qualifikation für das Amt abgesprochen. Die von Lambrecht angekündigte Lieferung von 5.000 Schutzhelmen für die Ukraine, um die diese ausdrücklich gebeten hatte, wurde als „Lachnummer“ verspottet.
Leistungen der Ministerin gingen unter
Und so ging es in einem fort. Dass sie ihren Sohn in einem Hubschrauber der Bundeswehr mitnahm und davon ein Foto machte, wurde ihr vorgeworfen – obwohl dies juristisch vollkommen korrekt war und komplett privat bezahlt wurde. Zuletzt dann das private Silvestervideo Lambrechts, das wegen des Lärms der Raketen und Böller akustisch schlecht zu verstehen war. Nun gab es nicht nur Hohn und Spott, sondern sogar die Forderung von CDU und CSU nach der sofortigen Entlassung der Ministerin.
Völlig untergegangen ist in der politischen Berichterstattung dagegen, was Lambrecht in ihrer kurzen Zeit als Bundesverteidigungsministerin erreicht hat: So traf sie schnell die Entscheidung für eine deutlich bessere persönliche Ausrüstung für die Soldat*innen, für das F-35-Kampfflugzeug und den schweren Transporthubschrauber. Entscheidungen, die unter den Verteidigungsminister*innen der Union jahrelang nicht getroffen wurden. Auch ihr Beschaffungsbeschleunigungsgesetz gilt als echter Meilenstein in der Verteidigungspolitik.
Klingbeil würdigt ihre Verdienste
SPD-Chef Lars Klingbeil hebt in seiner Klärung die Verdienste der scheidenden Ministerin hervor. Lambrecht habe das Verteidigungsministerium in einer außen- und sicherheitspolitischen Ausnahmesituation übernommen. „Sie hat gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz dafür gesorgt, dass wir mit dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen die Bundeswehr endlich wieder auf die Höhe der Zeit bringen können“, betont Klingbeil. „Und sie hat viele ganz konkrete Verbesserungen für die Truppe angestoßen, bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten etwa oder auch bei den finanziellen Spielräumen für die Kommandeure vor Ort.“ Der SPD-Chef bilanziert: „Christine Lambrecht gebührt unser großer Dank und ebenso unser Respekt für die heutige Entscheidung.“
Lambrecht leitete drei Bundesministerien
Christine Lambrecht war seit Dezember 2021 Bundesverteidigungsministerin, die erste Sozialdemokratin in diesem Amt. In der letzten Regierung Merkel war sie von 2019 bis 2021 Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, seit Mai 2021 zusätzlich noch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Von 1998 bis 2021 gehörte Lambrecht dem Deutschen Bundestag an. In der SPD-Bundestagsfraktion gehörte sie der Parlamentarischen Linken an. Von 2009 bis 2011 war die Rechtsanwätin rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie war von 2013 bis 2017 Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, zuvor von 2011 bis 2013 stellvertretende Fraktionsvorsitzende. 2018 bis Juni 2019 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanzminister.
Sozialdemokratin seit 1982
1982 trat Christine Lambrecht in die SPD ein. Von 2007 bis 2017 war sie Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bergstraße und Mitglied des Landesvorstands der hessischen SPD. Im SPD-Bezirk Hessen-Süd war sie von 2009 bis 2019 stellvertretende Vorsitzende.
Ihre ersten politischen Ämter übernahm sie in der hessischen Kommunalpolitik: von 1985 bis 2001 als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Viernheim und von 1997 bis 2001 als Vorsitzende. Von 1989 bis 1997 war sie Mitglied des Kreistags des Landkreises Bergstraße.
Da Christine Lambrecht seit 2021 nicht mehr Mitglied des Bundestages ist, endet mit ihrem Rücktritt als Bundesverteidigungsministerin ihre jahrzehntelange Laufbahn als Berufspolitikerin.
Nachfolge soll Dienstag offiziell werden
Bundeskanzler Olaf Scholz werde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der nach dem Grundgesetz die Ernennung und Entlassung der Regierungsmitglieder ausspricht, „zeitnah“ einen Vorschlag für die Lambrecht-Nachfolge machen, so Christiane Hoffmann, die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Aus „Respekt vor der Entscheidung der Ministerin“ zum Amtsverzicht werde die Nachfolgeentscheidung „aller Voraussicht nach“ nicht mehr Montag, sondern am Dienstag offiziell bekannt gegeben. Nach Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) verlässt mit Christine Lambrecht das zweite Kabinettsmitglied die Regierung von Bundeskanzler Scholz, die seit Dezember 2021 im Amt ist.