Verkehrswende: Warum wir dem Auto weniger Platz geben sollten
IMAGO/Rolf Kremming
Es ist wohl der Gegenstand der deutschen Wirtschaft schlechthin: Das Auto. „Das Auto“ war sogar viele Jahre der Werbeslogan des größten deutschen Autoherstellers Volkswagen. Die Automobilindustrie wird mit Wachstum und Wohlstand verbunden, das eigene Auto galt lange als Symbol für individuelle Freiheit.
Hört man aber Verkehrsforscher*innen wie Andreas Knie zu, wandelt sich dieses positive Bild: „Die Dosis macht das Gift und die Dosis Auto ist derzeit zu groß“, sagt der Soziologe und Professor an der Technischen Universität Berlin. Denn mit dem steigenden Autoverkehr wurde die Infrastruktur in Deutschland aus Sicht des Mobilitätsforschers überlastet.
Jedes Jahr werden mehr Autos zugelassen
Ein Blick in die Statistik zeigt den rasanten Anstieg: Waren 1970 nur rund 14 Millionen Pkw in Deutschland zugelassen, waren es 1980 schon 23 Millionen – und bis heute werden es jedes Jahr mehr. Laut Kraftfahrt-Bundesamt waren zu Jahresbeginn 2022 fast 49 Millionen Pkw zugelassen. Vier mal mehr als vor 50 Jahren. Hinzu kommt, dass 46 Millionen davon weiterhin Benzin oder Diesel verbrennen – eine riesige Belastung an CO2-Emissionen für die Klimaschutzziele im Verkehrssektor. Rund 20 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland und Europa entfallen dabei auf den Verkehrssektor und davon wiederum ein Großteil auf den Straßenverkehr. Gesunken sind die Emissionen im Verkehr bisher noch nicht deutlich, es gibt noch viel zu tun.
Ein Problem, das die Ampel-Koalition erkannt hat und schon im Koalitionsvertrag mit Zielen und Vorhaben angeht. Eine flächendeckende Ladesäulen-Infrastruktur soll die Elektrifizierung des Verkehrs forcieren, der Umstieg auf E-Autos wird gefördert. Auch die Europäische Union treibt den Abschied vom Verbrennungsmotor voran, voraussichtlich 2035 soll in der EU kein Auto mit Auspuff mehr zu-gelassen werden.
„Wir müssen dem Auto Platz wegnehmen.“
Doch nur den Motor austauschen und ansonsten sich weiter bewegen wie bisher, das reicht aus Sicht von Andreas Knie nicht aus. Denn schon in der Produktion verursachen Autos CO2-Emissionen. Für Karosserie, Elektronik, Reifen und viele Kleinteile werden Seltene Erden, Stahl, Plastik, Wasser und viel Energie benötigt. Das gilt in unterschiedlichem Umfang für den Verbrennungs-, wie den Elektromotor. „Wenn wir nicht gleichzeitig die Zahl der Autos reduzieren, kommen wir mit der Verkehrswende nicht weiter“, sagt Knie im Gespräch mit dem „vorwärts“ und ergänzt: „Wir müssen insgesamt weniger Auto fahren, die Abhängigkeiten vom Auto reduzieren, gerade im ländlichen Raum.“ Der Soziologe will an Routinen heran, an den Alltag, in dem das eigene Auto schon so lange seinen festen Platz hat, dass es für viele unmöglich erscheint, darauf zu verzichten.
Dabei fällt oft gar nicht auf, dass die vielen Millionen Fahrzeuge noch eine andere Ressource verbrauchen, die immer knapper wird: Platz. Der aktuelle VW Golf ist rund 4,2 Meter lang, 1,8 Meter breit und 1,5 Meter hoch, beansprucht also rund zehn Quadratmeter Fläche, egal ob er geparkt oder gefahren wird. Mit jedem weiteren Pkw beansprucht der Autoverkehr also auch mehr Parkplätze, mehr Straßen. Von größeren Fahrzeugen ganz zu schweigen.
Die Folgen dieser Entwicklung zählt Knie auf: Die Infrastruktur leidet, der Pendelverkehr vom Umland in die Großstadt sorgt regelmäßig für massive Staus. Der Verkehrsexperte spricht davon, dass Städte wie Düsseldorf von Autos regelrecht „geflutet“ werden. „Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit“, meint er: „Wir müssen dem Auto Platz wegnehmen.“
Das Taxi als Reserve
Ein Sozialdemokrat, der das schon 1972 erkannt hat, war Hans-Jochen Vogel, den auch Knie zitiert: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Dabei fordert der Experte keine radikale Auto-Abstinenz: „Es geht nicht darum, das Auto gar nicht mehr zu nutzen.“ Vielmehr stört er sich an dem Platz, der ihm so selbstverständlich eingeräumt wird, oftmals sogar gratis im öffentlichen Raum. Platz, der vor allem in Städten knapp und teuer ist, der stattdessen für Wohnraum oder Grünflächen genutzt werden könnte.
Andreas Knie möchte stattdessen anderen Verkehrsmitteln, wie Fahrrädern, Bus und Bahn, aber auch Fußgängern mehr Platz einräumen. Autos würden im ländlichen Raum weiter gebraucht, könnten aber auch dort besser genutzt werden. Ganz konkret kann Knie sich eine digitale Plattform unter staatlicher Kontrolle vorstellen, auf der freie Sitzplätze im Auto gemeldet werden können. Binnen Sekunden aus dem Privatauto einen kleinen Bus zu machen, sei technisch schon machbar. Das Personenbeförderungsgesetz müsse man dafür noch ändern, aber Knie ist optimistisch: „Daraus könnte sogar ein Mobilitätsmarkt entstehen, vergleichbar mit dem Markt für Erneuerbare Energien ab 1998.“ Als Reserve würde das Taxi bleiben.
In Großstädten bringt er hingegen Carsharing als Lösung ins Spiel: Würde in Berlin jede Autofahrt nur noch über Leihfahrzeuge absolviert werden, rechnet der Experte vor, könnte der Pkw-Bestand in der Hauptstadt wohl von 1,2 Millionen auf 300.000 reduziert werden. Am Ende ist es laut Knie aber vor allem wichtig, dass die Veränderung in den Köpfen stattfindet. „Routinen zu durchlöchern“, darauf komme es an.
Und damit ist auch aus dieser Perspek-tive das 9-Euro-Ticket ein Erfolg, denn das Ticket hat ja nachweislich die Mobilität in Deutschland verändert. Während der Wille zur Veränderung aus Sicht der SPD-Verkehrspolitiker in der Bevölkerung ohnehin schon vorhanden ist (siehe Seite 5), sagt auch der Soziologe Andreas Knie: Veränderungen sind möglich. Dafür brauche es Alternativen zum Auto und eine Politik, die die notwendigen Veränderungen kommuniziert. „Und die Menschen brauchen etwas Zeit, sich darauf einzustellen.“