Verheerendes Presseecho für CDU und FDP nach dem Thüringen-Skandal
Wichtige deutsche Medien kommentieren die Ereignisse in Erfurt so:
Spiegel online: „Diese Wahl ist ein Tabubruch. Einen solchen Coup von Konservativen, Liberalen und Rechtsaußen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Soll jetzt keiner sagen, das sei nur dummer Zufall gewesen. … Die erste Chance, die Verbindungen nach rechts außen zu kappen, hat Thomas Kemmerich bereits verstreichen lassen: Er hat seine Wahl zum Ministerpräsidenten angenommen. Er hätte sie besser ablehnen sollen. Der Mann sollte nun jene Worte beherzigen, mit denen einst sein Parteichef Christian Lindner ein anderes Bündnis stoppte: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Thomas Kemmerich sollte rasch zurücktreten. Die Parteien jenseits der AfD könnten mit ihrer Mehrheit den Landtag auflösen. Neuwahlen sind der einzige Ausweg aus dieser Misere.“
Frankfurter Allgemeine (FAZ): „Das taktische Manöver der AfD war mindestens so durchschaubar wie das der CDU. Das wird der CDU den Vorwurf eintragen, „Komplize“ in einem politischen Husarenstück der FDP zu sein. CDU und FDP sitzen damit in dem Boot, in das sie eigentlich nicht einsteigen wollten. Denn welche Regierung auch immer aus dieser Wahl hervorgeht (wahrlich eine Minderheitsregierung!), sie wird mit dem Vorwurf leben müssen, eine Regierung von Gnaden der AfD zu sein, einer Landespartei zumal, die der Verfassungsschutz wie kaum eine andere im Visier hat.“
Süddeutsche Zeitung: „Niemand kann die Konsequenzen eines so gewaltigen Vorschubs abschätzen, den CDU und FDP nun Höcke und der AfD geleistet haben. Für Letztere ist die Einbindung in die Wahl von Kemmerich ein Meilenstein und ein geglücktes strategisches Spiel, in dem sie nur gewinnen kann. Erstere hingegen haben mit dieser Einbindung eine Entscheidung getroffen, die den Bund politisch massiv erschüttert und nicht nur deswegen die Kompetenz zweier regionaler Karriere- und Selbsterhaltungsartisten übersteigt. Das ist verantwortungslos.“
Bild: „Was die Thüringer CDU und FDP da angerichtet haben, ist erbärmlich. Das Ehrenvollste, was Thomas Kemmerich in seinem politischen Leben noch werden kann, ist kürzester Ministerpräsident aller Zeiten. Er sollte der FDP einen letzten Rest von liberalem Anstand bewahren und sofort zurücktreten.“
Die Welt: „Die gut 59.000 Wähler der Thüringer FDP haben sicher vieles gewollt. Aber dass sich der Spitzenkandidat der kleinsten Partei im Landtag mit den Stimmen der AfD zum Regierungschef küren lässt, das haben sie mit Sicherheit nicht gewünscht – jedenfalls nicht, wenn sie ernst nehmen, wofür die FDP steht.“
Der Tagesspiegel: „Thüringen ist ein politischer Tabubruch und, schaut man sich das rechtsextremistische Potenzial der AfD an, auch ein Sündenfall. Das hätte mit etwas mehr demokratischem Verstand leicht verhindert werden können. Stattdessen haben CDU und FDP mit armseligen Taschenspielertricks agiert und glaubten, das sei politisch clever. Im Gegenteil: Die Demokratie hat einer Partei, die in Teilen rechtsextrem ist und deren radikalste Vertreter aus Thüringen stammen, ein Geschenk mit unheimlicher Symbolkraft gemacht. Für CDU und FDP, die sich dieser politischen Schande quasi selbst angedient haben, wird der Tag noch böse Konsequenzen haben.“
Neue Westfälische: „Das Tabu ist gebrochen. In Thüringen haben sich zwei Parteien mit großer demokratischer Tradition in die Hand eines Führers der AfD gegeben, der u.a. in einem Buch niedergelegt hat, was er für politische Ziele verfolgt. Man werde, schreibt Björn Höcke dort: „so fürchte ich, nicht um eine Politik der ’wohltemperierten Grausamkeit’ herumkommen.“ Man werde halt „leider ein paar Volksteile verlieren, die zu schwach oder nicht willens sind “. Er werde, so hat Björn Höcke noch viel schärfer als ein gewisser Adolf Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ angekündigt, diejenigen Deutschen, die seinen politischen Zielen nicht zustimmten, aus „seinem Deutschland“ ausschließen. Niemand kann sagen, er habe dies nicht gewusst.“
Kölner Stadt-Anzeiger: „SPD, Grüne und Linke sowie die gesamte liberale Öffentlichkeit müssen neuerdings davon ausgehen, dass auf das Wort von CDU und FDP kein Verlass ist. Daraus folgt entweder, dass die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und FDP-Chef Christian Lindner ihren thüringischen Parteifreunden das Ruder aus der Hand nehmen. Danach sieht es nicht wirklich aus. Tun sie das nicht, dann könnte sich im Vorfeld der näher rückenden Bundestagswahl 2021 die gesamte Schlachtordnung ändern. Bisher konnte man annehmen, dass es eine schwarz-grüne Koalition oder womöglich doch noch eine Jamaika-Koalition geben würde. Diese Schein-Gewissheit ist von gestern. Es werden sich womöglich Lager bilden, ein rechtes und ein linkes Lager – ohne begehbare Brücken in der Mitte. Das ist gefährlich.“
Stuttgarter Zeitung: „Die FDP muss klären, ob sich Liberale wirklich von Rechtsaußen wählen lassen können. Vielleicht wird das die FDP in eine Zerreißprobe führen. Das gilt aber auch für die Union, in der es immer schon einige, wenn auch wenige Stimmen gab, die langfristig eine Zusammenarbeit mit der AfD in Ordnung finden. Das gilt es nun endgültig auszutragen.“
Nürnberger Nachrichten: „Eine Partei, die dem liberalen Rechtsstaat den Kampf ansagt, ist nie und nimmer bürgerlich. Und genau von dieser Höcke-AfD lässt sich ein FDP-Mann ins Amt hieven. Eine Schande für die Liberalen, deren großer alter Herr Gerhart Baum das so kommentierte: ‚Ein Hauch von Weimar liegt über der Republik‘.“
Badische Zeitung: „Kemmerich ist ein Wahlsieger von Gnaden der AfD. Die hat die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und ihre zahlenmäßige Stärke zum ersten Mal in einem deutschen Parlament umgemünzt in reale politische Kraft. Ausgerechnet einer Truppe, deren Hang zum Völkisch-Rechtsextremen selbst anderen AfD-Landesverbänden zu weit geht, ist eine Demonstration der Macht gelungen – ein düsterer Tag für die Republik.“
Auch im Freistaat Thüringen lehnen die Medien die Zusammenarbeit von CDU und FDP mit der AfD klar ab:
Thüringer Allgemeine: „Es mutet recht scheinheilig an, wie Thomas Kemmerich nach seiner Wahl betont, er sei Anti-AfD und Anti-Höcke. Denn ein paar Minuten zuvor nahm er die Wahl an, die er hätte ablehnen müssen, wenn diese Worte substanziellen Charakter hätten. Scheinbar waren aber alle Mittel und Tabubrüche recht, um politische Ziele zu erreichen. Dies ist ein herber Rückschlag für das Vertrauen der Menschen in die parlamentarische Demokratie. … Danach zu behaupten, es seien geheime Wahlen und man wisse ja nicht, wer wen wählt, ist Verrat an den Wählern von CDU und FDP.“
Thüringische Landeszeitung: „Der Gegenwind aus allen Himmelsrichtungen dürfte sich bald wie ein Sturm anfühlen. Und im Windschatten lachen sich einige Herren ins Fäustchen. Allen voran Björn Höcke (AfD). Mit seinem Scheinkandidaten hat er den dritten Wahlgang ad absurdum geführt: Null Stimmen aus der AfD für den AfD-Vorschlag – ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Ebenso muss sich Mike Mohring (CDU) fragen lassen, was er für Thüringen noch erreichen will? Gönner eines Ministerpräsidenten zu sein, ist in der Thüringer Verfassung nicht vorgesehen.“
Im Ausland gibt es viel Kritik:
Der Standard, Wien: „Wir wollen mit der AfD nichts zu tun haben – diese Argumentation kann man FDP und CDU nun nicht mehr abnehmen. Der Finger wird immer wieder nach Erfurt zeigen, wo man jenen zum Triumph verholfen hat, die CDU und FDP eigentlich hatten bekämpfen wollen.“
Zürcher Tages-Anzeiger: „Bei der Landtagswahl im Oktober hatte die FDP nur haarscharf die Fünfprozenthürde übersprungen. Und nun glaubt sie im Ernst, sie stelle zu Recht den Regierungschef? Die CDU von Mike Mohring machte bei der Farce bereitwillig mit. Vor der Wahl hatten beide Unterstützung von der AfD noch kategorisch abgelehnt. FDP und CDU stellten damit nicht nur das Wahlresultat auf den Kopf, sondern brachen ein Tabu. Erstmals gibt es in Deutschland eine Landesregierung von Gnaden der AfD.“
Financial Times, London: „Deutschlands politischer Nachkriegskonsens über die Ächtung rechtsextremer Parteien ist am Mittwoch zerrissen worden, nachdem Angela Merkels Christdemokraten gemeinsame Sache mit der nationalistischen Alternative für Deutschland machten, um einen wenig bekannten Lokalpolitiker als Ministerpräsidenten des östlichen Bundeslandes Thüringen einzusetzen. Mit der Wahl von Thomas Kemmerich ist die AfD erstmals zu einem solchen Königsmacher in der deutschen Politik geworden.“