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Verena Hubertz zu Energiepreisen: „Wir brauchen jetzt einen Kraftakt“

Die Gaspreise steigen, die Angst vor einem längeren Lieferstopp bei „Nord Stream 1“ geht um. SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz appelliert deswegen an alle, Energie zu sparen. Um Mieter*innen zu schützen, fordert sie eine konkrete Maßnahme.
von Kai Doering · 18. Juli 2022
Verena Hubertz: „Wir brauchen jetzt einen Kraftakt.“
Verena Hubertz: „Wir brauchen jetzt einen Kraftakt.“

In Deutschland geht die Angst um wegen der drastisch steigenden Gaspreise. Der Mieterbund warnt bereits vor einem „Ruin für Millionen Mieter“. Wie groß ist Ihre Sorge mit Blick auf den Herbst?

Es gibt zwei Dinge, die mir Sorgen machen: zum einen die Versorgungssicherheit und zum anderen die Bezahlbarkeit von Energie. Bei der Versorgungssicherheit richten sich im Moment natürlich alle Blicke auf Nord Stream 1 und ob die Pipeline nach der Wartung wieder in Betrieb geht. Wir haben zwar keinen Grund, daran zu zweifeln, aber trotzdem ist es wichtig, so viele Alternativen wie möglich zu erschließen, und zwar schnell. Wir kaufen weiteres Flüssiggas ein. Wir sorgen dafür, dass Kohlekraftwerke statt Gaskraftwerke für die Stromgewinnung eingesetzt werden. Und wir schauen, wo es bei den Erneuerbaren Energien hakt, damit sie schnell zugeschaltet werden können.

Es geht aber auch schlichtweg darum, Gas zu sparen, im privaten wie im unternehmerischen Bereich. Jede Kilowattstunde, die wir jetzt nicht verbrauchen, hilft uns im Herbst und Winter weiter. Wir brauchen jetzt einen Kraftakt.

Das hilft den Menschen, die eine hohe Gasrechnung bekommen, aber nicht weiter.

Das stimmt. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass Energie bezahlbar bleibt. Zwei Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger haben wir deshalb schon auf den Weg gebracht, ein drittes für Unternehmen. Die beginnen jetzt zu wirken. Die Energiepauschale von 300 Euro wird z.B. im September ausgezahlt. Im Rahmen der Konzertierten Aktion sieht sich die Bundesregierung gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern an, wo es weitere Entlastungen geben muss. Ich denke, im Herbst wird da noch etwas kommen. Wir müssen aber auch an die Wurzeln mancher Probleme gehen, etwa ans Kartellrecht, wenn es um die Höhe des Benzinpreises geht. Die Menschen können sich darauf verlassen, dass wir niemanden im Stich lassen.

Sie haben auch einen Kündigungsstopp für Mieter*innen angeregt, damit niemand wegen der hohen Nebenkosten aus der Wohnung fliegt. Ist das etwas, das viele Menschen betreffen würde?

Ja. Im ohnehin angespannten Wohnungsmarkt ist für viele die Nebenkostenabrechnung die zweite Miete geworden. Deshalb haben wir ja nicht umsonst während der Corona-Pandemie ein Moratorium eingeführt, damit niemand seine Wohnung aufgeben muss, weil er sie nicht mehr bezahlen kann. Da ging es eher darum, dass Menschen durch Kurzarbeit oder gar Job-Verlust weniger Geld zu Verfügung hatten. Jetzt stehen die steigenden Kosten im Mittelpunkt. Die Inflation verteuert ja auch nicht nur das Heizen und die Energie, sondern die Lebenshaltungskosten insgesamt. Ein Kündigungsstopp würde hier vielen eine wichtige Atempause verschaffen, auch psychologisch.

Was kann der Staat sonst noch tun?

Wir müssen uns die gesamte Kette der Energieproduktion und -verteilung ansehen. Das kann dann auch bedeuten, dass wir im Zweifel den Energieversorgern helfen, vor allem den Stadtwerken. Und auch die Vermieter müssen unterstützt werden. Zwei Drittel der Immobilien in Deutschland werden privat vermietet und es darf natürlich nicht passieren, dass die Vermieter auf den Kosten sitzen bleiben, wenn ihre Mieter nicht zahlen können. Wir brauchen deshalb ein Bündnis aus allen, die von den Preissteigerungen betroffen sind. Die Gefahr von Energiesperren ist durchaus real.

Einen Schutzschirm für die Stadtwerke hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aber bereits abgelehnt.

Wir sind alle von dieser schwierigen Situation betroffen und es bringt nichts, nur vorne an der Versorgungskette zu helfen. Mein Verständnis von Wirtschafts- und Strukturpolitik ist nicht, dass Stadtwerke einfach sich selbst überlassen werden und im Zweifelsfall pleite gehen. Natürlich kann der Staat nicht alles auffangen, aber da, wo Dinge ins Wanken kommen, muss er eingreifen und helfen. Dafür sollten Gewinner der Krise übrigens auch herangezogen werden.

Sie meinen eine Übergewinnsteuer?

Genau. Wenn wir nicht an die Schuldenbremse ran wollen, wogegen sich ja vor allem die FDP stark macht, sollten wir in der Koalition ernsthaft über die Übergewinnsteuer reden.

Der DGB schlägt einen Energiepreisdeckel vor, um die steigenden Strom- und Gaskosten aufzufangen. Was halten Sie davon?

Einen gewissen Grundbedarf preislich zu deckeln, klingt natürlich charmant. Am Ende ist das aber auch nur eine Subventionierung wie etwa der Tankrabatt. Wenn der Gaspreisdeckel zum Beispiel 60 Prozent unter dem Marktpreis des Gases liegen würde, stellt sich auch die Frage, wer die Differenz zahlt. Und warum sollte das allen gleich zugutekommen, egal, ob sie viel verdienen oder wenig verdienen? Andere Maßnahmen wie etwa einen Einsparbonus halte ich da für zielführender.

Inzwischen wird bereits über die Priorisierung nachgedacht, nach der Privathaushalte im Fall eines Gasmangels weiter versorgt werden, Fabriken jedoch nicht. Wie stehen Sie dazu?

Private Haushalte und Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser sollten als allerletztes vom Gasnetz genommen werden. Da geht es nicht um eine Raumtemperatur, die 19 statt 20 Grad beträgt, sondern um die Gesundheit der Menschen. Deshalb finde ich die Priorisierung, wie sie im Notfallplan Gas beschrieben ist, prinzipiell gut. Aber natürlich führt es zu Problemen, wenn wir Kernindustrien nicht mehr weiter betreiben können, weil das Gas fehlt. Das könnte eine Massenarbeitslosigkeit zur Folge haben, die es sehr schwer machen würde, wieder nach vorn zu kommen, wenn der Gasmangel behoben ist. Wir werden deshalb alles dafür tun, dass wir nicht in eine Situation kommen, in der wir jegliche Industrie abschalten müssen.

Verena Hubertz ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, seit 2021 ist die Unternehmerin Mitglied des Deutschen Bundestags. Ihren Wahlkreis Trier gewann sie bei der Bundestagswahl direkt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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