Inland

Ute Vogt warnt vor internationalen rechtsextremen Netzwerken

Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Ute Vogt, warnt vor rechtsextremen Strukturen, die über Deutschland hinaus reichen. Auch Einzeltäter hätten Unterstützer und Befürworter in der Szene. Das Gespräch wurde vor den Vorfällen im hessischen Hanau geführt.
von Benedikt Dittrich · 20. Februar 2020
Der antisemitische Attentäter in Halle scheiterte 2019 an der Tür der Moschee, erschoss im Anschluss zwei Passanten.
Der antisemitische Attentäter in Halle scheiterte 2019 an der Tür der Moschee, erschoss im Anschluss zwei Passanten.

Am Wochenende wurden mehrere Rechtsextremisten verhaftet, weil sie offenbar Terrorangriffe planten. Ein Erfolg der Ermittlungsbehörden oder Beweis für die Zunahme Rechtsextremer Gewalttäter?

Es ist sicherlich beides. Das Klima in der Gesellschaft hat sich verändert, es sind viele Tabus gebrochen worden. Wenn die Sprache gewalttätiger wird, ist es nur ein kleiner Schritt zur tatsächlichen Gewalt. Rechtsextreme werden durch das Erstarken der AfD ermutigt, den Worten Taten folgen zu lassen. Aber unsere Sicherheitsbehörden haben in den vergangenen Monaten auch enorm aufgeholt was die Aufmerksamkeit gegenüber rechtsextremen Strukturen angeht – insbesondere der Verfassungsschutz.

Es ist immer wieder die Rede davon, dass sich die jetzt verhafteten Rechtsextremisten, der Attentäter aus Halle und auch der Mörder von Walter Lübcke untereinander kannten. Wirken da stabile rechte Netzwerke im Hintergrund?

Wir dürfen nicht unterschätzen, dass es gezielte und bewusste Vernetzungen gibt innerhalb Deutschlands und sogar über die Landesgrenzen hinaus. Rechtsextremismus kam ja nicht erst jetzt auf die Welt. Seit Jahrzehnten festigt sich die Szene und die Verbindungen werden stärker. Trotzdem ist es für die Behörden eine große Herausforderung, diese Netzwerke nachzuvollziehen. Deswegen kann man über diesen Fahndungserfolg nur dankbar sein.

Wie passen zu diesen Netzwerken dann die Äußerungen, dass es sich bei Tätern wie Stephan E. in Hessen um Einzeltäter handelt?

Die Menschen agieren vielleicht aufgrund eines eigenen Entschlusses. Aber der Boden wird gemeinsam bereitet: Die politische Gesinnung wird gemeinsam entwickelt und bei der Vorbereitung gibt es eigentlich immer Unterstützung, zum Beispiel durch Waffenlieferungen.

Lassen sich bei solchen Vorbereitungen auch Parallelen zu dem vor über zehn Jahren aufgeflogenen NSU ziehen?

Auf jeden Fall. Der NSU war eine dieser rassistischen Strukturen, wo Attacken systematisch geplant wurden. Das zeigt ja, dass dieses Phänomen nicht neu ist, sondern sich verdichtet. Wir haben etwa 12.700 gewaltbereite Rechtsextremist*innen, 53 davon werden als Gefährder*innen eingestuft, die konkrete Pläne entwickeln. Aber ich finde die erste Zahl eigentlich viel wichtiger. Diese 12.700 Menschen haben eine Grundbereitschaft zur Gewalt. Die 53 sind deswegen nicht das Ende der Fahnenstange. Diese Zahl hat sich seit 2016 übrigens schon mehr als verdoppelt.

Welche Gründe gibt es für diesen zunehmenden Hang zur Gewalt?

Das liegt an dem Grundklima. Diese Menschen glauben, sie tun etwas, was nötig ist. Was viele für richtig halten, sich aber selber nicht trauen.

Welche Rolle spielt dabei der Vergleich von Links- und Rechtsextremismus?

Extremismus ist in jeder Form schädlich für unsere Demokratie. Im Moment geht die mit Abstand größte Gefahr aber vom Rechtsextremismus aus. Es gibt im Vergleich eine verschwindend geringe Zahl an womöglich gewaltbereiten Linksextremist*innen. Im rechtsextremen Bereich baut sich das gerade sehr systematisch auf und es wurde lange verharmlost. Gerade im Osten hat man über Jahrzehnte den Deckel draufgehalten, obwohl viele Akteure aus der Zivilgesellschaft schon sehr früh davor gewarnt haben.

Welche Rolle spielt denn derzeit noch der islamistische Terror?

Die Gefahren sind auch da nicht weg, nach wie vor werden gewaltbereite Islamist*innen beobachtet. Islamistische Anschläge sind nach wie vor genauso denkbar. Die Sicherheitsbehörden sind bei der Beobachtung von islamistischem Terror aber schon weiter, weil das schon länger und intensiver begleitet wird.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil will verhindern, dass der Hass alltäglich wird, dass rechte Hetzer das Klima vergiften. Er fordert die Menschen auf, dagegen zu halten. Was lässt sich Ihrer Meinung nach dagegen unternehmen?

Der Rechtsextremismus beginnt im Kopf. Er beginnt dort, wo Hassreden und Ausgrenzung verharmlost werden. Da sind wir alle gefordert, dagegen zu halten. Man muss deutlich machen: Selbst, wenn eine Partei demokratisch gewählt ist, hat sie keine demokratische Gesinnung. Wenn die Feinde der Demokratie die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln schlagen wollen, dann müssen wir uns mit allen Mitteln des Rechtsstaats dagegen wehren. Die Brandstifter*innen dürfen nicht verharmlost werden, nur weil sie ins Parlament gewählt wurden. Diese Menschen nutzen unsere Demokratie aus, um sie von innen heraus zu zerstören. Da reicht es nicht aus, „nein“ zu sagen, sondern man muss erklären: Diese Leute nutzen die demokratische Bühne, um Hass zu verbreiten und die Realität zu verzerren. Die Feinde der Demokratie halten sich nicht an demokratische Spielregeln. Die Gefahr ist groß, das hat man bei den Entwicklungen in Thüringen gesehen.

Das Gespräch wurde zu Beginn der Woche geführt, vor dem vermeintlich rechtsextremen Attentat im hessischen Hanau.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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