Urteil zu Leiharbeit: Warum ein niedrigerer Lohn zulässig ist
IMAGO/Steinach
Leiharbeiteri*nnen dürfen schlechter bezahlt werden als Stammbelegschaften, weil sie auch in entleihfreien Zeiten Lohn erhalten. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Grundsatzurteil.
Im konkreten Fall ging es um eine Frau aus Würzburg, die mit einem befristeten Vertrag bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt war. Anfang 2017 war sie im Lager eines Einzelhandelsunternehmen als Kommissioniererin eingesetzt, das heißt sie stellte Waren für Lieferungen zusammen. Dafür erhielt sie einen Stundenlohn von 9,23 Euro. Nach ihren Recherchen erhielt jedoch Stammpersonal des Unternehmens für die gleiche Arbeit 13,64 Euro pro Stunde, Sie verlangte daher von ihrem Arbeitgeber, der Zeitarbeitsfirma, eine Nachzahlung in Höhe von über tausend Euro.
Diese Regeln gelten
Seit einer Reform im Jahr 2017 gelten bei der Arbeitnehmerüberlassung folgende Regeln: Wenn Leiharbeiter*innen länger als 18 Monate bei einem bestimmten Unternehmen eingesetzt werden, haben sie dort grundsätzlich Anspruch auf eine feste Anstellung. Wenn sie länger als neun Monate beim gleichen Unternehmen eingesetzt sind, haben sie Anspruch auf gleiche Bezahlung wie die Stamm-Belegschaft (Equal Pay). In den ersten Monaten gilt der Anspruch auf gleiche Bezahlung nur, wenn es keinen speziellen Tarifvertrag der Leiharbeitsbranche gibt.
Fast alle Zeitarbeitsfirmen zahlen jedoch nach einem für sie günstigen Zeitarbeitstarifvertrag. Im konkreten Fall galt ein Tarifvertrag zwischen dem Interessensverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und der Gewerkschaft ver.di. Doch nach Ansicht der Kommissioniererin verstieß der Verweis auf diesen ver.di-Tarifvertrag gegen EU-Recht. Bei ihrer Klage wurde sie interessanterweise von ver.di unterstützt.
Das sagt die EU-Leiharbeitsrichtlinie
Der Fall landete zwischenzeitlich beim Europäischen Gerichtshof, der im Dezember 2022 die EU-Leiharbeitsrichtlinie von 2008 auslegte. Danach komme es auf den „Gesamtschutz“ der Leiharbeiter*innen an. Wenn das Entgelt niedriger ist als bei der Stammbelegschaft, müssen die Leiharbeiter*innen andere Vorteile haben, zum Beispiel bei arbeitsfreien Tagen oder Pausen.
Das Bundesarbeitsgericht entschied nun, dass der Gesamtschutz der Leiharbeiter*innen in Deutschland ausreichend ist. Der Ausgleich für das niedrigere Entgelt bestehe darin, dass Leiharbeiter*innen auch während entleihfreier Zeiten von der Zeitarbeitsfirma entlohnt werden müssen. Dies gilt nach deutschem Recht auch bei befristeten Verträgen, also auch bei der Frau aus Würzburg.
800.000 Zeitarbeiter*innen in Deutschland
Allerdings sind die meisten der über 800.000 Zeitarbeiter*innen unbefristet bei ihren Firmen angestellt. Laut iGZ liegt der Anteil der unbefristeten Verträge ungefähr bei 75 bis 80 Prozent. Allerdings hat auch dort der Anteil der entleihfreien Zeiten stark abgenommen, weil überall Personalknappheit besteht. Die Zeitarbeitsfirmen haben zuwenig Personal und dieses ist stark nachgefragt. Wenn es kaum entleihfreie Zeiten gibt, ist allerdings auch die Kompensation für den Lohnunterschied gering.
Lohndifferenzen von einem Drittel wie im Fall aus Würzburg kann sich die Zeitarbeitsbranche ohnehin kaum noch erlauben, wenn sie knappes Personal gewinnen und halten will. Laut iGZ besteht der Lohnunterschied für gleiche Arbeit im Schnitt nur bei 6,5 Prozent, laut Bundesagentur für Arbeit sind es 16 Prozent Differenz.