Urteil: Minister dürfen auch politisch sein
Schwesig begrüßte das Urteil und betonte, sie sehe es weiter als ihre Pflicht, die Demokratie zu verteidigen. "Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt". Das hatte die Bundesfamilienministerin in einem Interview, das am 25. Juni in der Thüringischen Landeszeitung erschienen war. Sie werde im thüringischen Wahlkampf "mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt", sagte Schwesig dme Blatt weiter.
Die NPD erhob daraufhin eine so genannte Organklage gegen die Ministerin. Die Kritik: Sie habe die Pflicht zu staatlicher Neutralität und auch die Chancengleichheit der Parteien verletzt. Sie habe im Interview eindeutig als Ministerin gesprochen, weil es fast nur um Projekte ihres Ministeriums ging.
Gericht: Strikte Trennung zwischen Ministeramt und Parteipolitik nicht möglich
Das Bundesverfassungsgericht nutzte den Fall für ein Grundsatzurteil. So seien die Staatsorgane generell zur Neutralität in Wahlkämpfen und in der politischen Auseinandersetzung verpflichtet, bekräftigten die Richter. Die Regierung und ihre Minister dürften also nicht zur Wahl oder Nicht-Wahl bestimmter Parteien aufrufen. Sie dürften auch nicht Mittel der Ministerien und Behörden für Wahlkampfzwecke einsetzen.
Allerdings sei eine strikte Trennung zwischen Ministeramt und Parteipolitik nicht möglich, betont das Gericht. So dürfen Minister auch Interviews zu parteipolitischen Themen geben, obwohl sie das Medieninteresse vor allem ihrer Prominenz als Regierungsmitglied verdanken. Außerdem könne ein Minister in einem Interview oder einer Talkshow auch fachliche und partei-politische Inhalte vermischen. Er sei im jeweiligen Kontext nicht auf eine bestimmte Rolle festgelegt, so die neue etwas gelockerte Karlsruher Linie.*a
Voßkuhle: Kein Freifahrtschein
Deshalb kamen die Richter auch zum Schluss, dass Schwesig die staatliche Neutralität nicht verletzt hatte. Sie habe ihren Anti-NPD-Aufruf im Interview nicht in ihrer Rolle als Ministerin gemacht.
"Das Urteil sollte nicht als Freifahrtschein für die Zukunft missverstanden werden", erklärte Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Schwesig hätte ihren Aufruf nicht bei einer Pressekonferenz im Ministerium formulieren oder auf dessen Homepage veröffentlicht dürfen. Ob die Neutralitätspflicht eingehalten wird, unterliege der "uneingeschränkten" Karlsruher Kontrolle, heißt es in der Entscheidung.
Die große Freiheit, die dem Bundespräsidenten in einem Urteil vom Juni zugebilligt wurde (er darf zum Beispiel NPDler "Spinner" nennen"), haben die Richter also nicht auf Minister übertragen. Begründung für den Unterschied: die Minister seien Teil des parteipolitischen Konkurrenzkampfs, während der Bundespräsident als Staatsoberhaupt über den Parteien stehe. (Az.: 2 BvE 2/14)
Weitere Klagen denkbar
Mit weiteren Verfassungsklagen der NPD ist zu rechnen. Erst vor zwei Wochen hatte die Nazi-Partei beim Thüringer Verfassungsgerichtshof Erfolg. Die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert (SPD) hatte zu Protesten gegen einen NPD-Parteitag aufgerufen und den Aufruf auf der Webseite ihres Ministeriums gepostet. Das war unzulässig sagten die Thüringer Richter. Karlsruhe hätte wohl genauso geurteilt.