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Urteil im NPD-Verbotsverfahren: Ein Warnschuss für die AfD

Während alle von der NPD reden, sieht der Politikwissenschaftler Richard Stöss das Urteil der Verfassungsrichter als Warnschuss in Richtung AfD. Diese könne jetzt wirkungsvoll bekämpft werden, so Stöss im interview mit vorwärts.de:
von Robert Kiesel · 19. Januar 2017
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Herr Stöss, nach der Urteilsverkündung im NPD-Verbotsverfahren war viel von Ohrfeigen zu lesen – wahlweise für die NPD oder den Bundesrat. Was stimmt?

Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, Ohrfeigen zu verteilen. Das Gericht musste die Bewertungskriterien für ein Parteiverbot aus den Fünfzigerjahren anpassen an die heutige Situation. Ich glaube, dass es uns allen damit enorm viel Material an die Hand gegeben hat, um den Rechtsextremismus effektiv zu bekämpfen.

Im Gegensatz zum Verbot der KPD hebt das Urteil auf die „Wirkkraft“ der NPD ab. Wie bewerten Sie die Neudefinition dieser Maßstäbe?

Früher, also zu Zeiten des KPD-Verbots, wurde gesagt „Wehret den Anfängen“. Es war nicht entscheidend, wie mächtig eine Partei ist, sondern dass sie Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zeigt - unabhängig von ihrer Größe. Heute sagt das Gericht: Wir müssen auch darauf achten, ob die Partei eine tatsächliche Gefahr für die demokratische Ordnung in der Bundesrepublik ist.

Eine weise Entscheidung?

Das Bundesverfassungsgericht hat einen guten Job gemacht, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Das Gericht hat einen umfassenden und vor allem aktuellen Katalog der unverzichtbaren Merkmale unserer Demokratie vorgelegt. Damit haben wir eine Messlatte an der Hand, mit der wir auch alle anderen Gruppierungen am rechten Rand bewerten und bekämpfen können. Dieses Instrument muss nun aber auch genutzt werden!

Teilen Sie die Einschätzung des Gerichts, dass es der NPD an Wirkkraft fehlt?

Ich vertrete die Auffassung, dass in einer Demokratie das Volk das Sagen hat und der Staat dem Volk nicht vorschreiben darf, welche Parteien erlaubt sind. Ein Verbot kann nur die „ultima ratio“ sein, zuvor müssen alle anderen Möglichkeiten der Bekämpfung ausgeschöpft worden sein. Das war bei der NPD bisher aber nun wirklich nicht der Fall. Dass es der NPD derzeit an „Wirkkraft“ fehlt, ist sicherlich richtig. Aber das muss ja nicht so bleiben. Die Partei hatte in ihrer Geschichte mehrere Aufs und Abs

Liegen die Hürden für das Verbot einer Partei nun höher?

Ja. Das Bundesverfassungsgericht hat die Hürde höher gelegt und damit zugleich die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigt.

Vergrößert das im Umkehrschluss den Spielraum für Parteien wie die AfD?

Im Gegenteil. Auch für die AfD ist dieses Urteil ein Warnschuss. Ich bin absolut sicher, dass die Spitzenleute der Partei das Urteil sehr genau lesen werden. Mir fallen spontan mehrere Stellen in ihrem Grundsatzprogramm ein, die nach dem Urteil des Gerichts eindeutig verfassungsfeindlich sind. Die Aufgabe von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, der Zivilgesellschaft und den staatlichen Einrichtungen besteht nun darin, den Urteilstext in Argumentationsmuster umzusetzen und die AfD ständig mit ihren verfassungsfeindlichen Auswüchsen zu konfrontieren.

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Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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