Wenn Eltern den Kontakt zu (fast) volljährigen Kindern abbrechen, müssen diese später dennoch für die Heimkosten der Eltern bezahlen. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil.
Zugrunde lag ein Fall aus Bremen. Dort lebte ein alter Friseur ab 2008 im Pflegeheim. Als seine Ersparnisse aufgebraucht waren, übernahm das Bremer Sozialamt rund 30 000 Euro an Kosten. 2012 starb der Mann im Alter von 90 Jahren. Das Sozialamt wollte zumindest einen Teil der Kosten, rund 9000 Euro, vom heute 60-jährigen Sohn, einem Beamten aus Delmenhorst, erstattet haben. Dies entspreche seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Vater.
Sohn über Kontaktabbruch des Vaters gekränkt
Der Sohn wollte aber nicht zahlen, weil der Vater schon vor 43 Jahren den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte. Die Ehe der Eltern war einst unglücklich gewesen, Mutter und Vater hatten außer-eheliche Affären, der Vater trank und behandelte die Mutter schlecht. Diese ließ sich deshalb 1971 scheiden. Da war der Sohn knapp 18 Jahre alt. Im ersten Jahr nach der Scheidung schrieb der Vater noch gelegentlich Postkarten und der Sohn besuchte den Vater in seinem Friseursalon.
Doch dann wollte der Vater von seinem Sohn nichts mehr wissen. Als dieser das Abitur bestanden hatte, gab's vom Vater nur ein Achselzucken. Als der Sohn dem Vater von der bevorstehenden Verlobung erzählte, sagte dieser nur "du bist ja verrückt". Den Sohn hat das demonstrative Desinteresse seines Vaters so gekränkt, dass er nun auch keinen Kontakt mehr suchte. 1998 hatte der Vater den Sohn sogar enterbt und auf den Pflichtteil beschränkt. Als Erbin setzte er seine neue Lebensgefährtin ein. Die Enterbung des Sohnes wertete der BGH nicht einmal als Pflichtverstoß. Der Friseur habe dabei nur seine Testierfreiheit genutzt.
Im konkreten Fall hatte der Sohn noch andere Vorwürfe gegen den Vater erhoben, um seine Unterhaltspflicht abzuwenden. So soll der Vater in einem Ehestreit den Sohn, der der Mutter zu Hilfe eilte, in die Glasscheibe eines Schranks gestoßen haben, so dass dieser mit dem Kopf in der Scheibe steckte. Auch soll der Vater nach seinem Auszug kaum Unterhalt gezahlt haben. Der BGH ging auf diese Vorwürfe, die in den Medien eine große Rolle spielten, jedoch nicht ein, weil sie schon in
den Vorinstanzen nicht bewiesen werden konnten.
BGH hebt früheres Urteil zugunsten des Sohnes auf
Das Oberlandesgericht Oldenburg entschied im Oktober 2012 zugunsten des Sohnes. Der Vater habe sein Recht auf Unterhalt "verwirkt". Der völlige Bruch mit dem Sohn offenbare "einen groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme". Der Sohn müsse deshalb nicht für die Heimkosten des Vaters aufkommen.
Der BGH entschied nun jedoch zugunsten des Sozialamtes. "Das Verhalten des Vaters war zwar eine Verfehlung, aber keine schwere Verfehlung", sagte der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Dose zur Begründung. Die Unterscheidung ist wichtig, denn das Gesetz lässt den Unterhaltsanspruch von Vater und Mutter entfallen, wenn diese gegenüber dem Kind eine schweren Verfehlung begangen haben und deshalb die Unterhaltszahlung "grob unbillig" wäre (§ 1611 BGB). Eine einfache Verfehlung genügt nicht.
Der BGH wertete das Verhalten des Friseurs nicht als schwere Verfehlung, weil er den Kontakt zu seinem Sohn erst abbrach, als dieser schon fast volljährig war. "Bis zu seinem 17. Lebensjahr hat er sich aber um ihn gekümmert", so Richter Dose. Zum Vergleich schilderte er den Fall einer Frau, die ohne ihr Kleinkind nach Amerika auswanderte und das kleine Mädchen bei den Großeltern zurückließ. Hier hatte der BGH 2004 eine schwere Verfehlung angenommen.
Der BGH ließ nun offen, ab welchem Kindesalter er den Kontaktabbruch als schwere Verfehlung wertet. Es werden wohl weitere Urteile zur Klärung erforderlich sein.
Az.: XII ZB 607/12