Inland

Unser Handeln braucht neue Grundsätze

Der zentrale Anspruch an eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik ist die Verbindung von Wachstum und Chancengleichheit. Besonders in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung darf soziale Gerechtigkeit nicht als nette Schwester der Wirtschaftspolitik gelten.
von Thorsten Schäfer-Gümbel · 31. Oktober 2014
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Das Sommerloch blieb dieses Jahr aus. Die letzten Monate waren geprägt von Krisen und Konflikten in der Welt. Aber die Medien beschäftigte auch eine Debatte zur Wirtschaftskompetenz der SPD. Umfragen sagen, die SPD wird im Bereich Wirtschaft als nicht kompetent genug wahrgenommen. Das muss sich ändern, wenn wir wieder die führende politische Kraft im Bund werden wollen. Dazu ist die gute Arbeit der SPD in der Bundesregierung wichtig. Wir müssen aber auch Debatten über zentrale Felder wie unser Wirtschaftsprogramm der Zukunft führen. Dabei sollten uns zwei Überzeugungen leiten:

1. Wachsende Ungleichheit verhindert nachhaltiges Wachstum. Das bedeutet: Je mehr Gerechtigkeit wieder herrscht, umso nachhaltiger wächst die Wirtschaft. Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille! Wirtschaftlicher Erfolg ist nicht nur eine Frage des Bruttoinlandsprodukts, sondern auch der Einkommensverteilung, der Chancengleichheit und des Wohlstands für alle. Daher muss soziale Gerechtigkeit für uns das zentrale Thema bleiben und darf nicht als nette Schwester der Wirtschaftspolitik gelten. So ist der Mindestlohn eine Maßnahme von historischer Bedeutung, die mehr Gerechtigkeit herstellt – für Beschäftigte und für fairen Wettbewerb. Im Vergleich mit Skandinavien zeigt sich sogar: Je gerechter es in einem Land zugeht, umso innovativer ist es.

2. Unser Zugang zur Wirtschaftspolitik ist Arbeit. Arbeit ist mehr als nur die Finanzierung des Lebens. Sie hat einen emanzipatorischen Aspekt, ist sinnstiftend. Doch es muss gute Arbeit sein. Gut bezahlt, abgesichert und gut für Gesundheit und Wohlbefinden. Dazu müssen wir an die Unternehmensseite ran. Wenn wir nachhaltiges Wachstum wollen, muss sich die Wirtschaft an Fragen der Umwelt, der sozialen Gesellschaft und der Ausbildung ausrichten. Wir schaffen dafür die Rahmenbedingungen. Gemeinsam müssen wir eine Balance zwischen Arbeit, Wachstum, sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit finden. Dazu brauchen wir ein Bündnis mit dem sozial aufgeklärten Mittelstand. Uns geht es nicht nur um Arbeit jetzt und heute, sondern auch für morgen und übermorgen.

Mit Visionen aufstellen

Wir haben die Beratungen im Themenlabor „Neues Wachstum und Innovation“ begonnen, das Yasmin Fahimi und ich leiten. Wir wollen die Grundlagen für ein neues Wirtschaftsprogramm nach 2017 schaffen. Hier müssen wir uns mit Visionen und kreativen Ideen aufstellen. Wir widmen uns sowohl dem Verhältnis von Wohlstand und Wachstum, als auch der Innovationsförderung und den Unternehmen der Zukunft.

Mit den Themenlaboren schaffen wir eine gute Vorbereitung für die aus meiner Sicht notwendige Diskussion um ein neues SPD-Grundsatzprogramm. Seit unserem Hamburger Programm stellen sich vier grundsätzliche Fragen, auf die wir neue Antworten geben müssen:

A) Mit Smartphones und Tablets ist nicht nur kommunikativ eine neue Zeit angebrochen. Die Digitalisierung verändert unser Leben und Arbeiten. Das diskutieren wir in einer groß angelegten Kampagne #digitalleben. Wie wollen wir die digitale Zukunft der Gesellschaft gestalten?
B) Angesichts der vielen Krisenherde haben Frieden und Sicherheit  wieder an Bedeutung gewonnen. Wie übersetzen wir sozialdemokratische Entspannungspolitik und den „Wandel durch Annäherung“ in eine Zeit, die geprägt ist von asymmetrischen Auseinandersetzungen? Eine Zeit, in der Kriege nicht an Staatsgrenzen halt machen und selbst in Europa territoriale Grenzen wieder gewaltsam verschoben werden?
C) Die Veränderungen der Arbeitsgesellschaft schreiten voran. Die Grenze zwischen Leben und Arbeit verschwimmt immer mehr. Gleichzeitig wird eine gesunde Balance zwischen Beruf und Freizeit immer wichtiger. Wie gestalten wir die Arbeitsgesellschaft der Zukunft? Wie sieht soziale Sicherheit in Zeiten des demografischen Wandels aus?
D) Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat alle neoliberalen Glaubenssätze überrollt. Die SPD hat vielfach festgehalten, wie eine Regulierung der Finanzmärkte aussehen muss. Erste Schritte sind getan. Dennoch stehen wir vor neuen Finanzblasen wie ein Kaninchen vor der Schlange. Wie sieht unser Leitbild des Finanzsektors aus? Wie regulieren wir das Verhältnis von Real- und Spekulationswirtschaft?

Diese Diskussion muss Teil einer Debatte über die Zukunft und die Rolle der Sozialdemokratie sein. Wir müssen sozialdemokratische, konkrete Utopien entwickeln. Wir brauchen mehr Mut zum Grundsätzlichen. Lasst uns damit beginnen.

Autor*in
Thorsten Schäfer-Gümbel

ist stellvertretender SPD-Vorsitzender sowie Fraktions- und Landesvorsitzender der SPD in Hessen. Er ist Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie.

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