Inland

Ungleichheit in Deutschland: Die Gewinne der anderen

Die Ungleichheit in Deutschland steigt und eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Familienunternehmen profitieren besonders stark.
von Robert Kiesel · 21. Dezember 2017
Ungerechtigkeit in Deutschland
Ungerechtigkeit in Deutschland

Frau Bartels, nach Veröffentlichung des „Weltreports der Ungleichheit“ war zu lesen: „Deutschland ist so ungleich wie vor 100 Jahren“. Stimmt das?

Ja, mit Bezug auf die Einkommen der obersten zehn Prozent stimmt das. Auf Basis von Einkommenssteuerdaten können wir belegen, dass sie heute 40 Prozent des Gesamteinkommens vor Steuern aller Deutschen auf sich vereinen. Das ist exakt der Wert von 1913.

Und die unteren zehn Prozent?

Der untere Teil der Einkommensverteilung bleibt leider unberücksichtigt, ganz einfach weil dieser vor dem Ersten Weltkrieg nicht steuerlich erfasst wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden von der Einkommensteuer die Einkommen von ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung erfasst. Daher können wir sehen, dass die untere Hälfte seit den 1960er Jahren deutlich verloren hat, während die obere Hälfte massiv dazu gewonnen hat.

Wo liegen die Ursachen dafür?

Ohne kausale Erklärungen liefern zu können, beobachten wir bestimmte, zeitlich parallel ablaufende Entwicklungen. Während die Einkommen der obersten Gruppe und der Exportanteil am Bruttoinlandsprodukt massiv steigen, sind die Spitzensteuersätze und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften stark gesunken. Aus diesen Parallelentwicklungen kann jeder seine Schlüsse ziehen. Für eindeutige kausale Zusammenhänge gibt es aber bisher wenig belastbare Hinweise.

Wer profitiert besonders?

In Deutschland standen über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg – anders als in anderen Ländern – die Unternehmer an der Spitze der Einkommensverteilung. Sie können einen immer größeren Anteil des Gewinns für sich ausschütten, müssen das als Familienunternehmer aber kaum publik machen. Eine informierte Debatte muss das im Blick haben.

Werden Unternehmen in Deutschland bei der Besteuerung zu sehr geschont?

Im internationalen Vergleich versteuert Deutschland Vermögen extrem wenig, gerade auch beim Übergang von einer Generation zur anderen - Stichwort Erbschaftssteuer. Gleichzeitig wissen wir, dass diese durch Ausnahmen geschützten Familienunternehmen häufig Spitzeneinkommen generieren. Wie das mit dem Verständnis einer Leistungsgesellschaft zu vereinbaren ist, scheint fraglich.

Zuletzt wurde in Deutschland viel über die Besteuerung multinationaler Unternehmen diskutiert. Zurecht?

In dieser Debatte geht es um Wettbewerbsvorteile von multinationalen Unternehmen gegenüber nationalen Unternehmen und um Steuervermeidung. Wenn man die Spitzeneinkommen der Deutschen analysiert, ist allerdings klar: Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet die GmbH und Co. KG XY, die sich in der Hand einer Familie befindet und teilweise riesige Vermögen hat, dafür aber wenige Informationen bietet. Unsere Daten weisen darauf hin, dass diese Unternehmen sehr bedeutend sind für die Verteilung der Einkommen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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