Inland

UN-Experten: Warum es in Deutschland zu viel Rassismus gibt

Deutschland hat ein Rassismus-Problem, sagen Experten der Vereinten Nationen. Betroffen seien vor allem Menschen afrikanischer Herkunft. Nicht selten sei die deutsche Polizei ein Teil des Problems.
von Paul Starzmann · 28. Februar 2017
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Ein Samstag im Sommer 2016 in einer süddeutschen Kleinstadt. Eine Familie geht spazieren, genießt den freien Tag. Nichts Ungewöhnliches. Da die Familie aber aus dem Kongo stammt, wird sie in der bayerischen Provinz schnell zur Zielscheibe: Plötzlich geht ein 38-jähriger Mann auf sie zu, zückt ein Messer, beleidigt und beschimpft sie. Verängstigt retten sich Vater, Mutter und Kinder in einen Hauseingang.

Als die Familie später bei der Polizei von dem Übergriff berichtet, zweifeln die Beamten ihre Aussage an. „Der Leiter der örtlichen Polizei spekuliert, es sei doch gar nicht klar, ob der 38-Jährige die Familie wirklich bedrohen wollte oder diese das Verhalten des Mannes nur falsch deutete“, berichtet die Journalistin Andrea Röpke in ihrem Buch „Jahrbuch rechte Gewalt“.

Die Gesellschaft schaut weg

Zu rassistischen Übergriffen kommt es täglich in Deutschland, wie die Statistiken zeigen. Vor allem schwarze Menschen seien betroffen, berichtet nun eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen: „In Deutschland sind Menschen afrikanischer Abstammung jeden Tag Opfer von rassistischer Diskriminierung, Afrophobie und Racial Profiling. Doch ihre Situation wird von der Gesellschaft kaum wahrgenommen“, heißt es in der Erklärung.

Das sieht auch Tahir Della von der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) so: Es herrsche in der weißen Mehrheitsgesellschaft eine Art „Abwehrreflex“, wenn es um das Thema Rassismus geht. Seine Organisation bemühe sich seit Jahren, ein Bewusstsein für rassistische Praktiken in Gesellschaft, Behörden und Politik zu schaffen. Doch die weiße Mehrheitsgesellschaft wolle davon meist nichts wissen, lautet seine Kritik. So gehe die Diskriminierung im Job, auf dem Wohnungsmarkt, an Schulen und Unis einfach weiter.

Racial Profiling ist real

Della hofft, dass mit dem Bericht der UN-Experten nun eine „Grundlage für eine umfassende Debatte“ zum Thema Rassismus geschaffen wird. Er sieht seine Positionen durch die Arbeit der UN-Gruppe bestätigt. Die Forderungen der internationalen Experten entsprächen genau dem, für was die ISD seit Jahren eintrete: von der Umbenennung rassistischer Straßennamen – wie die Berliner „M-Straße“ – bis hin zur vollständigen Aufklärung des Todes von Oury Jalloh, einem Mann aus dem westafrikanischen Sierra Leone, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte.

Die Rolle der deutschen Polizei wird von den UN-Experten besonders kritisch gesehen. „Die Polizeibehörden streiten immer wieder ab, dass es in Deutschland Racial Profiling gibt“, kritisiert der Vorsitzende der Expertengruppe, der Wissenschaftler Ricardo Sunga. Gemeint sind damit verdachtsunabhängige Polizeikontrollen, von denen Nichtweiße immer wieder betroffen sind. „Durch das Fehlen eines unabhängigen Beschwerdemechanismus auf Bundes- und Länderebene wird Straflosigkeit gefördert“, sagt Sunga. Da zu wenig über Rassismus gesprochen werde, kämen die Täter allzu häufig ungeschoren davon.

UN-Bericht: „absoluter Durchbruch“

Auch Tahir Della sagt, die Justizbehörden und Polizeidienststellen stritten den institutionellen Rassismus immer wieder ab. Dass nun von einer UN-Expertenkommission Racial Profiling als Tatsache anerkannt wurde, wertet er als „absoluten Durchbruch“ für die Aktivisten der Black Community in Deutschland.

Was die tägliche Arbeit der Polizei angeht, ist Dellas Forderung klar: „Hier sind die gleichen Maßstäbe anzusetzen wie für Weiße“, fordert er im Gespräch mit vorwärts.de. Polizeidienststellen sollten Schulungen und Trainings zum Thema Rassismus einführen – eine Forderung, die auch der Zentralrat der afrikanischen Gemeinde in Deutschland unterstützt. Ihr Generalsekretär Aliou Sangaré findet, „es muss mehr interkulturelle Bildung stattfinden“. Er fordert nicht nur die Weiterbildung von Polizisten – auch in Schulen, im Jobcenter oder beim Standesamt, überall sei der Nachholbedarf in Sachen Antirassismus groß.

UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung

Zur konsequenten Bekämpfung des Rassismus hat sich Deutschland schon 2001 auf der UN-Konferenz gegen Rassismus in Durban verpflichtet. Damals wurde auch die „UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung“ beschlossen. Seither habe sich an der schlechten Situation in Deutschland jedoch kaum etwas verändert, kritisieren Aktivisten. Ob sich bald etwas verbessert, wird die Zukunft zeigen. Einen umfassenden Bericht zum Rassismus in Deutschland wollen die UN-Experten im September vorlegen.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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