Ukraine-Krieg: Warum es wichtig ist, dass Geflüchtete arbeiten dürfen
IMAGO/Panama Pictures
Warum ist es wichtig, Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, schnell eine Arbeit aufnehmen zu können?
Wer aus dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet ist, braucht zuerst eine Unterkunft und schnelle Hilfe, braucht Ruhe und muss das Erlebte erstmal verarbeiten. Unser Anspruch sollte deshalb nicht sein, dass Geflüchtete sofort eine Arbeit aufnehmen. Gleichwohl gibt es viele, die gut qualifiziert sind und diese Qualifikationen auch einbringen wollen. Davon können wir angesichts des Fachkräftemangels in vielen Bereichen nur profitieren. Vor ein paar Tagen hat mir der Leiter der Arbeitsagentur in Tübingen von drei Ärztinnen aus der Ukraine erzählt, die gerne in Deutschland praktizieren würden. Wenn sie das machen können, hilft das allen.
Rechtlich können Geflüchtete aus der Ukraine sofort eine Arbeit aufnehmen. Das konnten die Menschen, die 2015 aus Syrien geflohen sind, nicht. Was ist heute anders als damals?
Die Gruppe, die damals nach Deutschland und Europa gekommen ist, war sehr viel heterogener als die Geflüchteten jetzt. Das war auch ein Grund dafür, dass die EU jetzt die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt hat, die nach dem Krieg auf dem Balkan entstanden ist, aber bisher noch nicht angewendet wurde. Geflüchtete erhalten danach zunächst für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis und automatisch Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer registriert ist, kann arbeiten, wenn die notwendige Qualifikation vorliegt.
Ist das eine Lehre aus der Situation 2015?
So ganz sind die Situationen nicht vergleichbar. Aber wir haben ja durchaus die Erfahrung gemacht, dass es nicht sinnvoll ist, wenn Geflüchtete während ihres Verfahrens zum Nichtstun verdammt sind und ihnen von einem Tag auf den anderen die Abschiebung drohen könnte. Für die Integration ist es besser, wenn die Menschen arbeiten können. Und auch die Steuerzahler*innen würden sich ja zu Recht fragen, wie es sein kann, dass Geflüchtete obwohl sie wollen, nicht arbeiten dürfen.
Wenn der rechtliche Rahmen bereits geregelt ist: Warum muss die Politik noch aktiv werden wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der in der vergangenen Woche zu einem runden Tisch mit Arbeitgebern und Verbänden eingeladen hatte?
Weil es durchaus Hürden gibt, die nichts mit politischen Entscheidungen zu tun haben. In der Regel gibt es ja eine Sprachbarriere. Wer aus der Ukraine zu uns kommt, spricht nicht unbedingt auf dem Niveau Deutsch, dass er hier arbeiten kann. Deshalb müssen wir die Menschen dabei unterstützen, schnell die deutsche Sprache zu lernen. Das ist ein wesentlicher Schlüssel für die Integration. Außerdem braucht es ein gutes Angebot an Kinderbetreuung. Und es ist wichtig, dass die Menschen passend nach ihrer Qualifikation eingesetzt werden, damit nicht am Ende die Hochschuldozentin Regale einräumt. Dafür braucht es die Prüfung und Anerkennung von Abschlüssen ebenso wie ein gutes Matching zwischen Bewerber*innen und Arbeitgebern. Vieles geht da leider noch zu langsam und ist zu bürokratisch. Uns sollte klar sein, dass diejenigen, die zu uns kommen, auch einen Beitrag für unsere Wirtschaft leisten können.
Wo hakt es bisher bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen?
An mehreren Stellen. Zum einen sind die Zuständigkeiten sehr verteilt. Ein weiteres Problem ist, dass die Anerkennungsverfahren sehr lange dauern. Oft fehlen auch Qualifikationsnachweise. Wer nimmt schon sein Abschlusszeugnis mit, wenn er flieht? Da brauchen wir eindeutig mehr Flexibilität. Das gilt im übrigen nicht nur für Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden, sondern auch für Kompetenzen und Erfahrungen aus dem Berufsleben hier in Deutschland. Wir werden den Fachkräftemangel nicht lösen, wenn wir da nicht kreativer werden und die unterschiedlichen Potenziale gezielt nutzen.
Brauchen Jugendliche, die ihre Ausbildung in Deutschland fortsetzen oder überhaupt erst beginnen wollen, besondere Unterstützung?
Ja, denn das duale Ausbildungssystem, das in Deutschland ja Standard ist, dürfte in der Ukraine kaum bekannt sein. Deshalb müssen die jungen Menschen über Praktika an die Betriebe herangeführt werden. Dafür braucht es wieder die Bereitschaft der Unternehmen, die ich da auch als sehr offen erlebe. Sie haben ja oft mit Fachkräftemangel zu kämpfen und deshalb auch durchaus ein Eigeninteresse, Nachwuchs zu bekommen.
Wie kann die Bundesagentur für Arbeit unterstützen?
Die Bundesagentur für Arbeit ist vor allem bei der individuellen Beratung gefragt. Sie kann die Qualifikationen der Geflüchteten ermitteln und sie in freie Stellen vermitteln, weil sie die Bedarfe der Unternehmen kennt. Wenn Qualifikationen fehlen, kann sie die Menschen auch mit gezielten Maßnahmen unterstützen.
Was können private Initiativen und Job-Börsen leisten?
Eine Menge. All die Initiativen, die sich häufig ja erst in den vergangenen Wochen gebildet haben, sind zu begrüßen. Wichtig ist nur, dass am Ende der Topf zum Deckel passt und die Menschen nicht in irgendeine Arbeit vermittelt werden, die nicht ihrer Qualifikation entspricht. Die Arbeitsagentur halte ich deshalb als Lotsen für sehr wichtig.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.