Inland

Über Wasserprediger und Weintrinker

von Die Redaktion · 20. November 2006
placeholder

Die Reichen in Deutschland haben es geschafft, über ihre Lebensbedingungen

und insbesondere Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Mantel des

Schweigens zu hüllen, zurückgezogen zu leben und anonym zu verdienen, so

Armutsforscher Vorname Huster. So gerät der Grundgesetzartikel "Eigentum

verpflichtet" immer mehr in Vergessenheit. Und: Es droht eine gesellschaftliche

Segmentierung in einem hoch entwickelten Wohlfahrtsstaat wie Deutschland.

Huster: "Dürftige Informationen über Reichtum"

Der Bochumer Reichtumsforscher Ernst-Ulrich Huster legt dar, dass die Eliten

kein Interesse haben, die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums offen zu

legen. Die zunehmende Polarisierung der Einkommen und Vermögen wird

bewusst verschwiegen.

Auch der von der Bundesregierung bereits zum zweiten Maleveröffentlichte

Armuts- und Reichtumsbericht beinhaltet nur sehr dürftige Informationen über

den Reichtum in Deutschland, bemängelt Huster. Eine Schwachstelle sei, dass

hohe Einkommen und Vermögen nicht detailliert erfasst werden. Zu allem Übel

bleibt die Steuerhinterziehung ausgeblendet. All dies führt im Ergebnis zu einer

Unterschätzung der Reichtumskonzentration in der Bevölkerung.

Es ist für Huster bedenklich, dass der Bericht nicht erkennen lässt, dass eine

Vergrößerung des Reichtums zu mehr Armut führt. Die statistischen Daten von

Armut und Reichtum stehen beziehungslos nebeneinander.

Eine weitere Schwachstelle sieht er in dem Umstand, dass lediglich Schritte

hinsichtlich der Armutsbekämpfung aufgelistet sind. Ähnliche Maßnahmen

hinsichtlich des Reichtums, etwa die Wiedereinführung der Vermögenssteuer,

werden von politischer Seite nicht vorgeschlagen.

Es empört ihn, dass die Politik Superreiche ausdrücklich gegen

Dämonisierungen und "Neiddiskussionen" schützt. Reichtum habe laut

Bundesregierung "wichtige positive gesellschaftliche Funktionen im

ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich. Sie werden von jeder

möglichen Maßnahmen ausgenommen. Andererseits hat sie keinerlei

Bedenken, wenn sie Kampagnen gegen Erwerbslose und Sozialhilfebezieher

richtet, die sich als "Faulenzer" und "Schmarotzer" diffamieren lassen müssen.

Eißel: "Neoliberale Politik führte zur verschärften Ungleichheit"

So befasste sich der Gießener Reichtumsexperte Dieter Eißel mit der

Steuerpolitik der letzten Jahre und stellte fest, dass die neoliberale Politik, die

Ungleichheit als Bedingung für mehr Wohlstand für alle ansieht, keine positiven

Effekte erzielt. Längst schon steht für ihn fest, dass die Steuerpolitik der

rot-grünen Regierung keine herausragenden Maßnahmen gegen die Armut

aufwies.

Einzig führte sie dazu, dass die Kommunen in eine prekäre Haushaltslage

gebracht wurden. Dringend notwendige öffentliche Investitionen mussten

vernachlässigt werden. An Stelle dessen haben die Steuerreformen die

Spitzeneinkommen sowie Gewinne und Vermögen radikal entlastet. Insofern

steht der öffentlichen Armut ein gestiegener privater Reichtum gegenüber.

Nach seinen Vorstellungen ist eine Umkehr der Steuerpolitik nötig. Bestandteile

hierfür sind eine Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften, ein

höherer Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer, eine Besteuerung von

Börsenumsätzen und Finanztransfers, eine Wiederherstellung der

Körperschaftssteuer und eine nachhaltige Bekämpfung der Steuerflucht.

Nötig ist ein Wechsel vom "schlanken" zu einem aktiven, interventionsfähigen

und -bereiten Wohlfahrtsstaat, so Eißel. Ein reicher Industriestaat Deutschland,

der den im Grundgesetz abgesicherten Anspruch erhebt, dafür zu sorgen, dass

Menschen - gleich welcher Herkunft - ohne materielle Not leben können, muss

entsprechend handeln.

Hartmann: "Eigene Leistung führt nicht automatisch zum sozialen Aufstieg"

Der Gießener Soziologe Michael Hartmann behandelte in seinen Ausführungen

die Rolle der deutschen Eliten. Er kommt zum Ergebnis, dass in Deutschland

nur scheinbar eine Gesellschaft besteht, in welcher jeder unabhängig von der

Herkunft durch die eigene Leistung Karriere machen und zur Elite gehören kann.

Arbeiterkinder sind, selbst wenn sie es zum Doktortitel gebracht haben,

weiterhin benachteiligt.

Die Aussichten auf eine Topposition in deutschen Unternehmungen sind für die

Kinder des gehobenen Bürgertums sowie des Großbürgertums um ein

Vielfaches höher. Demnach hat die vorgebliche soziale Öffnung des

Bildungswesens nicht zur sozialen Öffnung der Eliten geführt. Ganz im

Gegenteil: es geschah eine Stabilisierung der herrschenden Klasse. Hartmann

erklärt dies folgendermaßen: "Die besseren Karriereaussichten für

Bürgerkinder resultieren aus der Tatsache, dass die Personen, die an der

Spitze der Unternehmen stehen und damit über die Besetzung der

Toppositionen entscheiden, für diese Positionen jemanden suchen, der ihnen

im Habitus gleicht oder zumindest ähnelt."

Stefan Campen

0 Kommentare
Noch keine Kommentare