Die Reichen in Deutschland haben es geschafft, über ihre Lebensbedingungen
und insbesondere Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Mantel des
Schweigens zu hüllen, zurückgezogen zu leben und anonym zu verdienen, so
Armutsforscher Vorname Huster. So gerät der Grundgesetzartikel "Eigentum
verpflichtet" immer mehr in Vergessenheit. Und: Es droht eine gesellschaftliche
Segmentierung in einem hoch entwickelten Wohlfahrtsstaat wie Deutschland.
Huster: "Dürftige Informationen über Reichtum"
Der Bochumer Reichtumsforscher Ernst-Ulrich Huster legt dar, dass die Eliten
kein Interesse haben, die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums offen zu
legen. Die zunehmende Polarisierung der Einkommen und Vermögen wird
bewusst verschwiegen.
Auch der von der Bundesregierung bereits zum zweiten Maleveröffentlichte
Armuts- und Reichtumsbericht beinhaltet nur sehr dürftige Informationen über
den Reichtum in Deutschland, bemängelt Huster. Eine Schwachstelle sei, dass
hohe Einkommen und Vermögen nicht detailliert erfasst werden. Zu allem Übel
bleibt die Steuerhinterziehung ausgeblendet. All dies führt im Ergebnis zu einer
Unterschätzung der Reichtumskonzentration in der Bevölkerung.
Es ist für Huster bedenklich, dass der Bericht nicht erkennen lässt, dass eine
Vergrößerung des Reichtums zu mehr Armut führt. Die statistischen Daten von
Armut und Reichtum stehen beziehungslos nebeneinander.
Eine weitere Schwachstelle sieht er in dem Umstand, dass lediglich Schritte
hinsichtlich der Armutsbekämpfung aufgelistet sind. Ähnliche Maßnahmen
hinsichtlich des Reichtums, etwa die Wiedereinführung der Vermögenssteuer,
werden von politischer Seite nicht vorgeschlagen.
Es empört ihn, dass die Politik Superreiche ausdrücklich gegen
Dämonisierungen und "Neiddiskussionen" schützt. Reichtum habe laut
Bundesregierung "wichtige positive gesellschaftliche Funktionen im
ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich. Sie werden von jeder
möglichen Maßnahmen ausgenommen. Andererseits hat sie keinerlei
Bedenken, wenn sie Kampagnen gegen Erwerbslose und Sozialhilfebezieher
richtet, die sich als "Faulenzer" und "Schmarotzer" diffamieren lassen müssen.
Eißel: "Neoliberale Politik führte zur verschärften Ungleichheit"
So befasste sich der Gießener Reichtumsexperte Dieter Eißel mit der
Steuerpolitik der letzten Jahre und stellte fest, dass die neoliberale Politik, die
Ungleichheit als Bedingung für mehr Wohlstand für alle ansieht, keine positiven
Effekte erzielt. Längst schon steht für ihn fest, dass die Steuerpolitik der
rot-grünen Regierung keine herausragenden Maßnahmen gegen die Armut
aufwies.
Einzig führte sie dazu, dass die Kommunen in eine prekäre Haushaltslage
gebracht wurden. Dringend notwendige öffentliche Investitionen mussten
vernachlässigt werden. An Stelle dessen haben die Steuerreformen die
Spitzeneinkommen sowie Gewinne und Vermögen radikal entlastet. Insofern
steht der öffentlichen Armut ein gestiegener privater Reichtum gegenüber.
Nach seinen Vorstellungen ist eine Umkehr der Steuerpolitik nötig. Bestandteile
hierfür sind eine Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften, ein
höherer Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer, eine Besteuerung von
Börsenumsätzen und Finanztransfers, eine Wiederherstellung der
Körperschaftssteuer und eine nachhaltige Bekämpfung der Steuerflucht.
Nötig ist ein Wechsel vom "schlanken" zu einem aktiven, interventionsfähigen
und -bereiten Wohlfahrtsstaat, so Eißel. Ein reicher Industriestaat Deutschland,
der den im Grundgesetz abgesicherten Anspruch erhebt, dafür zu sorgen, dass
Menschen - gleich welcher Herkunft - ohne materielle Not leben können, muss
entsprechend handeln.
Hartmann: "Eigene Leistung führt nicht automatisch zum sozialen Aufstieg"
Der Gießener Soziologe Michael Hartmann behandelte in seinen Ausführungen
die Rolle der deutschen Eliten. Er kommt zum Ergebnis, dass in Deutschland
nur scheinbar eine Gesellschaft besteht, in welcher jeder unabhängig von der
Herkunft durch die eigene Leistung Karriere machen und zur Elite gehören kann.
Arbeiterkinder sind, selbst wenn sie es zum Doktortitel gebracht haben,
weiterhin benachteiligt.
Die Aussichten auf eine Topposition in deutschen Unternehmungen sind für die
Kinder des gehobenen Bürgertums sowie des Großbürgertums um ein
Vielfaches höher. Demnach hat die vorgebliche soziale Öffnung des
Bildungswesens nicht zur sozialen Öffnung der Eliten geführt. Ganz im
Gegenteil: es geschah eine Stabilisierung der herrschenden Klasse. Hartmann
erklärt dies folgendermaßen: "Die besseren Karriereaussichten für
Bürgerkinder resultieren aus der Tatsache, dass die Personen, die an der
Spitze der Unternehmen stehen und damit über die Besetzung der
Toppositionen entscheiden, für diese Positionen jemanden suchen, der ihnen
im Habitus gleicht oder zumindest ähnelt."
Stefan Campen
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