Trauer, Feier und Symbolik: die Makkabiade in Berlin
Vor einem knappen halben Jahr haben wir zum ersten Mal etwas von den Maccabi Games gehört. Wir kannten die Olympiade, die Paralympics und sogar die Gay Games, doch was es mit einer „Makkabiade“ auf sich hat – das war uns unbekannt und machte uns neugierig. „Das größte jüdische Sportevent in Europa“ wollten wir uns in Berlin natürlich nicht entgehen lassen, wenngleich wir nur eine vage Vorstellung davon hatten, was „jüdische Spiele“ denn ausmachen könnte. Und was bedeutet „Makkabiade“? Gab es da nicht irgendwelche „Bücher der Makkabäer“ in der Bibel? In den Apokryphen? Aber was hatten die mit Sport zu tun?
Geschichte
Tatsächlich gelten die Makkabäer als jene Freiheitskämpfer, die mit einem Aufstand letztendlich für die Befreiung des Tempels zu Jerusalem sorgten. Von ihrer Heimatstadt Modiin wird jährlich das Licht des Chanukka-Festes als Fackel in einer Lichterkette von Hand zu Hand bis nach Jerusalem gebracht.
Als moderne Nachfolger des Judas Makkabäus und seiner Kämpfer sahen sich Ende des 19. Jahrhunderts die Gründer der Makkabi-Bewegung, die aus dem politischen Zionismus hervorging. Max Nordau prägte auf dem Zweiten Zionistenkongress in Basel 1898 den Begriff des „Muskeljuden“. Für den Aufbau einer sicheren Heimstätte in Palästina forderte der Arzt körperliches Training, „um dem schlaffen jüdischen Leib die verlorene Spannkraft wiederzugeben“, berichtet die Jüdische Allgemeine in einem sehr lesenswerten historischen Abriss.
Zwar war bereits 1895 in Konstantinopel der erste jüdische Turnverein gegründet worden – von diesem ging jedoch wenig Wirkung aus. Als sich aber 1898 in Berlin der jüdische Turnverein „Bar Kochba“ gründet, entsteht eine neue Bewegung. Bereits 1903 schließen sich elf Vereine zu einem Dachverband mit 2000 Mitgliedern in Berlin zusammen, die „Jüdische Turnzeitung“ wird in Deutschland verlegt und Mitglieder von „Bar Kochba“ etablieren neue Sportvereine in Palästina sowie einen Makkabi-Weltverband.
Doch viele in Deutschland etablierte Juden stehen dieser neuen Bewegung zunächst skeptisch gegenüber. Es gibt immerhin auch sozialistische, revisionistische und religiöse jüdische Sportvereine. Als jedoch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Sportvereine in Deutschland zunehmend jüdische Mitglieder ausschließen, erfährt die Makkabi-Bewegung starken Zulauf. 1938 sind mehr als 50 000 Mitglieder in 350 jüdischen Sportvereinen aktiv. Viele nutzten ihre Teilnahme an einer „Makkabiade“ und kehrten nicht wieder nach Deutschland zurück. Zur zweiten Makkabiade in Tel Aviv war 1935 die deutsche Delegation die größte, lernen wir aus obigem Artikel der Jüdischen Allgemeinen.
Die Idee eines „jüdischen Olympias“ war bei einem Makkabi-Sport-Treffen 1929 in Prag, einer Europäischen Makkabiade, entstanden und diskutiert worden. 1932 fand dann die erste Makkabiade in Tel Aviv statt. Seit 1953 gibt es regelmäßig alle vier Jahre eine Makkabiade in Israel. Die Europäischen Makkabi-Spiele fanden nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unregelmäßig, seit 1979 jedoch auch in olympischen Vier-Jahres-Turnus statt.
Dass die Spiele nun in Berlin ausgetragen werden, ist trotz der stark mit Berlin verwurzelten Geschichte der Makkabi-Bewegung keine Selbstverständlichkeit. Noch in den Achzigern wurden deutsche Juden, die an der Makkabiade in Israel teilnahmen, beim Einzug ins Stadion ausgebuht. Alon Mayer, Vorsitzender von Makkabi Deutschland sprach von einer Herkulesaufgabe: „Die Leute sagten mir, dass sie sich nicht vorstellen könnten, einen Fuß nach Deutschland zu setzen, weil ihre Eltern und Großeltern von dort vertrieben wurden", doch die Überzeugungsarbeit hat sich gelohnt.
70 Jahre nach dem Ende der Shoa und – das dürfte eine wichtige Rolle gespielt haben – im fünfzigsten Jahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel finden die European Maccabi Games seit Montag in Berlin statt – bewusst genau an jenem Ort, wo die Nazis mit der Olympiade 1936 der Welt ihre perfekte Propagandashow boten: im Berliner Olympiapark.
Und damit ist uns klar – die Spiele sind nicht nur eine große Breitensportveranstaltung, nicht einfach nur ein weiteres Turnerfest, sondern sie bergen starke Symbolik.
Die Eröffnungsfeier
Rilli Willow ist in Israel geboren und aufgewachsen. Der Großvater der jetzt 32-jährigen Sängerin war den Nazis nach Palästina entkommen. Seine Schwester, Dora Wilamowska, Opernsängerin unter anderem in Berlin, gelang es nicht aus Deutschland zu fliehen. Mit ihrem Mann wurde sie im September 1943 aus Berlin nach Auschwitz deportiert. Während ihr Mann sofort vergast wurde, musste Dora im KZ-Chor für ihre Aufseher und Peiniger singen, bis sie entkräftet im Alter von 32 oder 33 Jahren starb. „Um den Kreis zu schließen – für ihre Großtante und für ihren Großvater“ wolle Rilli Willow, die inzwischen in Berlin lebt, an diesem Abend in der Berliner Waldbühne singen – zur Eröffnung der European Maccabi Games am vergangenen Dienstag.
Ergriffen lauschen wir dieser Geschichte, die wie die Geschichte anderer Mitwirkenden des Abends per Video in der Waldbühne eingespielt wird. Doch als uns dann klar wird, was sie singen wird, ist es einer der bewegendsten Momente des Abends: es ist die deutsche Nationalhymne, die ebenso wie die Hymne Israels zu den festen Bestandteilen der Eröffnungsfeier der 14. European Maccabi Games gehört.
Es soll noch viel um Identität gehen im weiteren Verlauf des Abends.
Trauern und feiern
Zusammen mit etwa 8000 Menschen (leider weniger als erwartet) sitzen wir im Rund der Waldbühne und erleben die Eröffnungsfeier. Adel Tawil heizt die Stimmung an und singt schließlich – wie schon zuvor auf seiner CD – „Zuhause“ zusammen mit dem amerikanisch-jüdischen Rapper Matisyahu. Allen wird immer wieder das Symbolische bewusst, 79 Jahren nach den von den Nazis missbrauchten Olympischen Spielen. Mit dem Banner „We are still here“ zieht die Mannschaft der USA ins Rund der Waldbühne ein und bringt damit zum Ausdruck, was diese Feier ausmacht, die Mischung aus Gedenken und Feiern.
Doch natürlich ist es ein Einzug der Athletinnen und Athleten, wie wir ihn auch von Olympia kennen: Als erstes die Mannschaft Israels, zum Schluss das deutsche Team und dazwischen alle anderen alphabetisch, mit strahlenden Gesichtern, unzähligen Selfies und ausgelassenem Feiern – bereit für den Wettkampf. Doch nicht „Schneller. Höher. Weiter“ ist das Motto der Makkabioniken, sondern „Competing in Sports – United at Heart“ (Im Wettkampf Konkurrenten – Vereint im Herzen).
Etwas verwundert sind wir, als zu Beginn Australien und Aserbaidschan einziehen – sind wir nicht bei einer europäischen Makkabiade? Sind wir etwa wieder mal beim Eurovision Song Contest gelandet? Nein – European Maccabi Games bezieht sich auf den veranstaltenden Verband. Eingeladen ist jedoch die ganze Welt und so ziehen eben auch noch die Vereinigten Staaten, Argentinien, Kanada, Südafrika und natürlich Israel mit ein.
Aus 36 Ländern kommen 38 Delegationen mit etwa 2300 Sportlerinnen und Sportlern. Die irische Delegation besteht aus einem einzigen Teilnehmer, der im Triathlon antreten wird und die deutsche Delegation ist mit 376 Sporlerinnen und Sportlern die größte. Dem Einzug der Makkioniken folgen Momente, in denen die Erinnerung im Mittelpunkt steht.
Erinnerung und Symbolik
Am Nachmittag gab es schon eine Gedenkfeier auf dem Maifeld, auf der es Bundesjustizminister Heiko Maas als Vertreter der Bundesregierung gegenüber den 38 Makkabi-Delegationen aus aller Welt auf den Punkt brachte: „Wenn ich daran denke, was die Deutschen den jüdischen Gemeinden in Europa angetan haben, empfinde ich tiefe Scham.“
Diese Scham von deutscher Seite und die Trauer aus jüdischer Sicht durchziehen die vielen Reden, beginnend mit der Ansprache des Bundespräsidenten. Doch alle eint auch das Signal: Die jüdische Kultur gehört zu Deutschland und die Makkabi Spiele sind zurückgekommen. Stellvertretend sei hierfür der Satz des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, genannt: „Wo die Nazis von einem judenfreien Europa träumten, lassen wir unseren jüdischen Traum Wirklichkeit werden.“
Viele der Redner (tatsächlich waren es allesamt Redner – wie überall im Sport scheinen auch hier die Funktionärsposten vorwiegend männlich besetzt zu sein) verbanden persönliche Familienschicksale mit der Makkabiade oder mit Berlin. Und auch viele der weiteren Mitwirkenden schlossen, wie es immer wieder hieß, „einen persönlichen Kreis“.
Den Eid der Athletinnen und Athleten verlas ein dänischer Sportler, der mit Dan Uzan zusammen im Verein Basketball spielte. Dan Uzan, der selbst schon an Makkabiaden teilgenommen hatte, war jener 37-jährige Wachmann, der beim Schutz einer Bar Mizwa in einer Synagoge in Kopenhagen am 15. Februar bei einem islamistischen Anschlag ermordet wurde.
Die Fahne der Makkabiade wurde von ehemaligen deutschen Makkabioniken getragen. Das Feuer der Makkabiade wurde aus Israel von einem Konvoi von Motorradfahrern nach Berlin gebracht. Der Konvoi erinnerte mit seiner Fahrt weniger an den klassischen olympischen Fackellauf, sondern an einen Motorrad-Konvoi, der im Jahr 1931 mit elf Motorrädern durch Europa fuhr, um für die Makkabiade 1932 in Tel Aviv – und damit auch für die fünfte Alija, also die Einwanderung nach Palästina, zu werben.
„Zwei unserer Fahrer sind Nachfahren der ursprünglichen Makkabi-Fahrer der 1930er Jahre, neun sind Nachkommen von Holocaust-Überlebenden und zwei weitere tatsächliche Überlebende im Alter von 73 und 78 Jahren“, sagt Filmemacherin Catherine Lurie-Alt, die eine Dokumentation über die Motorrad-Rally gedreht hat.
Zum Entzünden der Flamme knattern also Motorräder in die Waldbühne – die Flamme selbst wird von Nancy Glickman entzündet. Ihr Großvater Marty Glickman und Sam Stoller waren zwei US-amerikanische jüdische Leichtathleten, die 1936 zur Olympiade nach Berlin angereist waren, dann jedoch aber nicht starten durften. Im Original-Trikot des Großvaters entzündet Nancy die Flamme.
Tanzen
Und dann endlich kann so richtig gefeiert werden: Party pur mit drei Songs der israelischen Eurovision Geschichte: Gali Atari singt „Hallelujah“ aus dem Jahr 1979, Dana International tritt mit „Diva“, ihrem Siegertitel von 1998, auf die Bühne und schließlich heizt der israelische Vertreter des vergangenen ESC in Wien Nadav Guedj mit „Golden Boy“ die Waldbühne so richtig ein. Vergessen ist erst mal alle Trauer – es wird getanzt!
Die Eröffnungsfeier, durch die neben der deutschen Schauspielerin Palina Rojinski auch jener sprachgewandte israelische Moderator Yigal Ravid führte, der 1999 den Eurovision Song Contest aus Jerusalem moderierte, war unter der Regie von Ran Tzahor, Israels erfolgreichstem Show-Produzenten konzipiert worden. Eine unkommentierte Zusammenfassung aller Höhepunkte der Eröffnung stellt Hauptstadtsport hier zur Verfügung.
Toleranz und Gemeinsamkeit
Als wir die Waldbühne verlassen, hören wir viele die letzten Lieder noch summen und wir befinden uns unter Athletinnen und Athleten, allesamt Jugendliche, solche, die uns jeden Tag in Bus und Bahn begegnen. Berliner Alltag - das ist es, was diese jüdischen Sportspiele in Deutschland auch ausmacht und an diesem Punkt wird uns klar, wie absurd eigentlich unsere Suche nach dem „Besonderen“ der jüdischen Spiele war. Denn zum Glück ist jüdischen Leben eben wieder Alltag geworden in Berlin.
Im Berliner Sportverein TuS Makkabi beispielsweise treffen Juden, Christen und Muslime aufeinander. Der Verein steht allen Glaubensrichtungen offen und will mit seinen mehr als 500 Mitgliedern vor allem eins: Toleranz lehren und leben.
Die Makkabiade ist ein Breitensportereignis, das sich dennoch in manchem von anderen sportlichen Großereignissen unterscheidet.
Allein die Liste der Sportarten ist für uns ungewohnt: Badminton, Basketball, Bridge, Dressurreiten, Fechten, Feldhockey, Fußball, Futsal, Golf, Halbmarathon, Schach, Schwimmen, Squash, Tennis, Ten Pin Bowling, Tischtennis, Triathlon, Volleyball und Wasserball. Doch alle Turniere und Veranstaltungen können problemlos von jedem und jeder besucht und mitverfolgt werden. Die Stimmung dort erinnert uns an die Gay Games: leidenschaftliche und doch freundlich-familiäre Begegnungen vor keinem großen, aber doch begeisterten Publikum vorwiegend aus den eigenen und befreundeten Delegationen.
Statt einem Olympischen Dorf wird Deutschlands größtes Hotel und Kongresszentrum zu einem solchen: alle Athletinnen und Athleten wohnen dort gemeinsam – außergewöhnlich dabei ist aber eigentlich auch nur die logistische Meisterleistung der Hotelküche, ihren Betrieb für neun Tage auf koschere Zubereitung umstellen zu müssen. 20 000 neue Geschirrteile wurden dafür gekauft und 90 Köche bereiten drei Mal am Tag das Essen für die Delegationen sowohl im Hotel als auch im Olympiapark zu.
Und auch in ihrer eigentlichen Bedeutung unterscheiden sich die Maccabi Games dann nicht so sehr von anderen Meetings – es soll sich traditionell nämlich auch um einen beliebten Partnerschafts- und Heiratsmarkt handeln. Kein Wunder, dass eine große israelisch-weltweite Partnervermittlung im Neuköllner Hotel eine Dependance eingerichtet und die Waldbühne mit Flyern überdeckt hat: „Let love come to you, be patient. In fairy tales they don’t find each other until the last page.“
Natürlich stehen alle Veranstaltungen sowie das Hotel in der Sonnenallee unter höchstem Polizeischutz, aber auch das ist dieser Tage kein Alleinstellungsmerkmal.
Maccabi Chai
Die Makkabi-Games, so haben wir inzwischen gelernt, sind einzigartig in ihrer Identität und Geschichte – ansonsten ein Sportfest, das Berlin bisher tatsächlich gefehlt hat und das hoffentlich wiederkommen wird. Es darf uns Deutsche stolz und beschämt zugleich machen. Beschämt über das, was wir zerstört haben, stolz auf das, was seitdem wieder gewachsen ist. Die European Makkabi Games sind ein Zeichen dafür, wie wichtig und wie fruchtbar der Kampf gegen Antisemitismus bleibt.
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Das Motto und der Gruß der Makkabi-Bewegung lautet „Maccabi Chai“ (Es lebe Makkabi) – hier die aktuelle Version zu den Games der Berliner Band Jewdyssee: