Inland

Toll war es trotzdem, irgendwie

von Martin Kaysh · 10. März 2012

Damals fanden wir die Clique um Jürgen ziemlich doof und wähnten uns selbst auf der richtigen Seite. Rückblickend völlig zu Recht natürlich.

Bücher zum Thema Jugend verkaufen sich wohl gut. Nach dem Erfolg der „Generation Golf“ entdeckten die Verlage in kürzer werdenden Abständen die Generationen Praktikum, Porno, Facebook, X, ich und doof.  
Die Berichte aus der Jugend haben meistens kaum die Aussagekraft einer Bild-Zeitung von vorgestern und die Relevanz des „Neuen Deutschland“ aus den 80er Jahren. Flotter geschrieben als das SED-Blatt sind sie, aber die aufgekratzte Lustigkeit dieser Literatur ist kaum erträglicher als Lobhudelei auf ZK-Niveau. Über die Jugend verraten sie nichts. In diesem Genre ist der Bestseller von heute der Ramsch von morgen. Da stehen die topaktuellen Jugendanalysen Diätbüchern nahe und Managementratgebern, die gerne von BWL-Absolventen in Finanzstrukturvertrieben gelesen werden.

Seltsamerweise hört man irgendwann auf, Generation zu sein. Spätestens dann ist man erwachsen. Ich überlege, welcher ich angehörte. „Null Bock“ muss das gewesen sein, bzw. „No Future“. Klar, Punk fand ich ziemlich cool, oder sagte man damals noch geil? Aber einen Teufel hätte ich getan, mir Rasierklingen durchs Gesicht zu ziehen, demonstrativ Büchsenbier zu saufen und in versifften Kellerräumen nicht Gitarre spielen zu können. Ich war sogar mal ein paar Jahre Juso, und ganz ehrlich: Zu den Coolsten auf dem Schulhof gehörte ich damit nicht. Toll war es trotzdem, irgendwie.

Dass es eine Uniformität der Jugend nie gegeben hat, kann sich jeder selbst in Erinnerung rufen. Damals, da fanden Sie doch die Clique um Jürgen, die Typen um Stefan oder die Mädels von Moni ziemlich doof und wähnten sich selbst auf der richtigen Seite. Rückblickend völlig zu Recht natürlich.

Als Älterer sollte man sich allerdings bei der Bewertung „der Jugend von heute“ zurückhalten. Ziemlich schnell liegt man daneben. Neulich traf ich in der Innenstadt auf ein Häufchen junger Menschen, 15, 16 Jahre alt. Ich will nichts unterstellen. Aber mein Fahrrad schloss ich sorgfältig ab und mied Blickkontakte, als einer der Jungs ein Mädchen anbrüllte: „Schtzngrmm, schtzgrmm, t-t-t-t, t-t-t-t. Dat is Jandl, den kennze wohl nicht?!“ „Ja sicha kenn´ ich den“, antwortete eingeschüchtert die Angeschriene. „Kennze nich! Der ist nämlich tot! tzngrmm, tzngrmm, tzngrmm.“

Zuhause habe ich nachgeschaut. Der Junge hatte das berühmte Gedicht von Ernst Jandl völlig korrekt rezitiert. Performt, würde er sagen.

Autor*in
vorwärts-Kolumnist: Kabarettist und Alternativkarnevalist Martin Kays
Martin Kaysh

ist Kabarettist, Alternativ-Karnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

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