Thabet Azzawi: Mit Herz und Musik für Demokratie und Freiheit
Er hat es wieder getan: Am Montagabend, in Hörweite des mittlerweile nur noch alle zwei Wochen stattfindenden Pegida-Aufmarschs, griff Thabet Azzawi in die Saiten seiner Oud (arabisch für Laute). Gemeinsam mit der „Banda Internationale“, einer bunt gemischten Truppe von Musikern aus verschiedenen Ländern, spielte er einmal mehr gegen die Mischung aus Rassismus und Nationalismus an, die dem Image Dresdens zuletzt so schweren Schaden zugefügt hat. Wie eigentlich immer, wenn sich Pegida trifft, brüllten deren Anhänger die von der DDR-Bürgerrechtsbewegung gekaperte Parole „Wir sind das Volk“. Was sie nicht wissen konnten: Azzawi, der protestierende Medizinstudent aus Syrien, ist Teil dieses Volkes – hochoffiziell.
Glücklich: Ein Syrer in Dresden
Seit wenigen Wochen nämlich hat es der 27-Jährige schwarz auf weiß: Azzawi ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, genießt bis zum Ende seines Studiums eine finanzielle Begabtenförderung. Eine Ehre sei das, ganz klar, zumindest der Titel eigentlich aber auch eine Selbstverständlichkeit: „Ich zahle meine Steuern, ich arbeite und ich kämpfe für Werte von Demokratie und Freiheit. Warum soll ich nicht Teil des deutschen Volkes sein?“, fragt der frisch gebackene Stipendiat.
Der Weg dorthin, vom Osten Syriens nach Dresden, in die „Banda Internationale“ und schließlich zur Studienstiftung des deutschen Volkes, war kräftezehrend und gefährlich. Zwei Bürgerkriege – zunächst in Syrien und später im Jemen – hatte Azzawi er- und überleben müssen. Seine vier Jahre andauernde Flucht führte ihn über Stationen im Libanon, dem Jemen, Dschibuti und der Türkei nach Dresden, wo er seit dem Sommer 2015 eine neue Heimat gefunden hat. Azzawis Medizinstudium, begonnen in seinem Geburtsort Deir ez-Zor, wird er voraussichtlich im August 2021 abschließen können. „Von den 27 Jahren meines Lebens bin ich jetzt am glücklichsten“, versichert Azzawi. Er sagt es in Dresden, ausgerechnet.
„Musik ist meine Medizin“
Wer Azzawis Berichte über seine Flucht aufmerksam verfolgt, verliert jeden Zweifel am Gehalt dieser Aussage. In Syrien wie im Jemen leistete der Sohn eines Augenarztes medizinische Nothilfe. Azzawi war konfrontiert mit der Brutalität jener Kriege, die nur wenige Flugstunden von Mitteleuropa entfernt stattfinden und dennoch weit weg scheinen. Der Ausbruch von Denguefieber und Malaria im Jemen, das Sterben unzähliger Menschen aufgrund des Mangels an Medikamenten und Grundnahrungsmitteln – Azzawi hat selbst erlebt, was hierzulande nur selten Raum in den Hauptnachrichten bekommt. Die Schmerzen der 19-stündigen Überfahrt vom jemenitischen Aden nach Dschibuti, kauernd auf dem Deck eines Fischerbootes ohne Toilette oder der Möglichkeit zum Aufstehen, sie holen Azzawi noch heute ein.
Dass er all das überlebte, verdankt der 27-Jährige nicht zuletzt der Musik und seinem Instrument, der Oud. „Die Musik rettet mich immer, sie ist meine Medizin und ich weiß nicht, wie ich ohne die Musik mit all dem hätte umgehen können“, sagt Azzawi heute. Sein „Verteidigungsmittel“ gegen Krieg, Leid und Zerstörung sei es gewesen, die Oud zu spielen, zu komponieren oder arrangieren und so in die Welt der Musik zu fliehen. Nur so lässt sich verstehen, warum er für die Oud gleich zweimal sein Leben riskierte. „Ohne meine Oud gehe ich nirgendwohin“, hatte Azzawi vor seiner Flucht aus Syrien und dem Jemen beschlossen. Auf verschlungenen Wegen und gegen Zahlung von „Passiergeldern“ kehrte er in schwer umkämpfte Gebiete zurück, rettete sein teilweise unter Trümmern liegendes Instrument und damit auch sich selbst.
Angekommen - musikalisch und menschlich
Die bittere Ironie dieser lebensgefährlichen Anekdote: Was zwei Bürgerkriege nicht vermochten, erledigte der Paketdienstleister DHL. Auf dem teuer bezahlten Transport der Oud aus der Türkei nach Dresden wurde das Instrument schwer beschädigt. Einzig einem Gitarrenbauer aus der Dresdner Neustadt ist es zu verdanken, dass Azzawi seine Oud heute wieder spielen kann.
Und wie er das tut: Ein bis zwei Konzerte gibt Azzawi in der Woche, viele davon in Dresden und Umgebung, aber auch im europäischen Ausland. Auftritte mit den Dresdner Philharmonikern, Professoren der Musikhochschule Dresden oder Musikgrößen wie Sting stehen mittlerweile in seiner Vita. Darüber hinaus gibt er einen eigenen Workshop an der Musikhochschule und ist fester Teil der bereits erwähnten „Banda Internationale“, deren Geschichte jüngst verfilmt wurde. „Musik war mir immer genauso wichtig wie mein Studium“, sagt Azzawi und trommelt im selben Moment mit den Fingern der rechten Hand auf den Oberschenkel. Ganz so, als würde er in Gedanken die Oud spielen.
Dresden - die neue Heimat
Bei aller Genugtuung, es gibt auch Sorgen im Leben von Thabet Azzawi. Da ist beispielsweise der Ausblick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr. Viele seiner Freunde hätten bereits angekündigt, im Falle des nicht ausgeschlossenen Wahlsiegs der AfD das Bundesland zu verlassen. „Davor habe ich ein bisschen Angst“, räumt Azzawi ein. Vor allem weil ihm, dem für die Dauer von drei Jahren geduldeten Flüchtling, diese Option nicht zur Verfügung steht. Doch auch ohne diese Einschränkung sagt Azzawi: „Dresden kann nicht meine Heimat sein, wenn ich nicht dafür arbeite. Ich habe eine große Verantwortung.“ Werte wie Demokratie und Freiheit müssten ständig neu verteidigt werden, erst recht in Dresden. Azzawi lässt es keine Ruhe, dass gerade dort so viele Menschen demokratische Errungenschaften nicht besonders wertschätzen, obwohl sie in einer Diktatur gelebt haben. Er kennt sich schließlich damit aus.
Während die übergroße Mehrheit der Dresdner dem Pegida-Treiben in ihrer Stadt auch weiter teilnahmslos gegenüber stehen wird, bezieht Azzawi Stellung. Auch gegen den nächsten rechten Aufmarsch wird er musikalisch protestieren, als Teil des deutschen Volkes. Denn wie sagt Azzawi so treffend: „Nicht unsere Musik ist politisch, die Bedingungen sind es.“