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Terrorismus: Warum Muslimen eine Distanzierung nicht hilft

Nach jedem islamistisch motivierten Anschlag werden Muslime aufgefordert, sich glaubwürdig vom Terror zu distanzieren – obwohl viele die Taten öffentlich verurteilen. Das zeigt: Muslime können es den Islamfeinden nicht Recht machen.
von Paul Starzmann · 7. Juni 2017
Gedenken in London
Gedenken in London

Nach dem jüngsten Terror-Anschlag in London vom 3. Juni, bei dem sieben Menschen starben und rund 50 verletzt wurden, war die weltweite Anteilnahme groß. Hunderttausende drückten unter dem Hashtag #PrayForLondon in den sozialen Netzwerken ihr Mitleid aus. Doch wie so oft gab es auch wütende Stimmen, die „den Islam“ für die Gewalt in der Londoner Innenstadt verantwortlich machten. Sie forderten von allen Muslimen, sich vom Terror zu distanzieren – immerhin sei der doch in ihrem Namen verübt worden.

Die Religion wird für den Terror missbraucht

„Weil die Religion missbraucht wird als Rechtfertigung für den Terror, ist es erst einmal nachvollziehbar, wenn Menschen von Muslimen eine Distanzierung verlangen“, sagte dazu Lydia Nofal, Sprecherin des Arbeitskreises muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Zugleich betonte sie im Gespräch mit vorwärts.de: „Die Verurteilung des Terrors gibt es immer und immer wieder. Aber sie wird kaum wahrgenommen.“

In der Tat gibt es nach jedem islamistisch motivierten Attentat eine Vielzahl an Muslimen, die öffentlich gegen die religiös verbrämte Gewalt protestieren – wie es derzeit in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #NotInMyName geschieht. In England haben nun 130 Imame dazu aufgerufen, den mutmaßlichen Attentätern von London das islamische Totengebet zu verwähren – eine außergewöhnliche Geste, da die sogenannte Janaaza eigentlich jedem toten Muslim zusteht.

In den Moscheen wird Frieden gepredigt

Auch das „British Muslim Forum“, ein Verband mit über 500 Moscheegemeinden, verurteilt den Terror regelmäßig. „Wir wollen eine klare Botschaft an jeden Muslim aussenden, der sich von Gewalt angezogen fühlt,“ ließ Sprecher Imam Qari Asim am Mittwoch auf Facebook mitteilen. „Das ist in unserer Religion verboten. Es gibt keine Rechtfertigung im Islam, um unschuldiges Leben zu nehmen.“

„In den Moscheen ist das eines der wichtigsten Themen,“ sagte Lydia Nofal über die Verurteilung der islamistischen Gewalt. Der Sozialdemokrat Mohamad Hajjaj, der sich beim Berliner Verein „Inssan“ für die „Entwicklung eines deutschsprachigen Islam“ einsetzt und Vorsitzender des Berliner Zentralrats der Muslime ist, kann das bestätigen. Die Verurteilung des Terrors werde in fast jedem Freitagsgebet thematisiert: „Terroranschläge werden von den muslimischen Verbänden ständig verurteilt. Aber wird das von der Mehrheitsgesellschaft gehört?“

Beatrix von Storch: Wo sind die Massenproteste?

Tatsächlich scheint bei vielen nicht anzukommen, dass sich Muslime heute ständig für ihren Glauben rechtfertigen müssen – und das oft genug tun, obwohl sie nicht das Geringste mit der Gewalt der Islamisten zu tun haben. Den Islamfeinden von AfD bis Pegida scheint dies jedoch egal zu sein. So stellte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch kurz nach dem Londoner Anschlag auf Twitter sofort eine Forderung nach „muslimischen Massenprotesten“ auf.

Ins gleiche Horn stieß am Wochenende der Musikveranstalter Marek Lieberberg: Nachdem es bei seinem Festival „Rock am Ring“ in der Eifel eine Terrorwarnung gegeben hatte, forderte er von den Muslimen Konsequenzen – obwohl der Hintergrund der „Terrorgefahr“ völlig unklar war: „Ich möchte endlich mal Demos sehen, die sich gegen diese Gewalttäter richten“, sagte er. Dass es diese Proteste in Vielzahl gibt, wie die Redaktion von „bento“ kurz darauf zeigte, scheint ihm entgangen zu sein.

Die Distanzierung schafft eine Nähe zum Terror

Lieberberg verlangte, dass Demonstranten zu „Zehntausenden“ gegen den Terror auf die Straßen gehen. Beatrix von Storch wünscht sich „Hunderttausende“. Fraglich bleibt aber, ob sich dadurch die Position der selbsternannten „Islamkritiker“ verändern würde. „Die Frage ist, ob eine Distanzierung, die ja auch in gewisser Weise Nähe suggeriert, überhaupt etwas bringt“, gibt Mohamad Hajjaj zu bedenken. „Ändert sich dadurch das Weltbild bei AfD oder Pegida?“

Er meint: Nein. Wer die muslimischen Initiativen gegen den Terror nicht sehen will, wird sich wohl auch von Demos nicht eines Besseren belehren lassen. Lydia Nofal fordert, die Gesellschaft dürfe sich nicht auseinanderdividieren lassen. „Was wir brauchen ist Mut zum Zusammenhalt,“ sagte sie. „Das ist die Antwort, die wir als Gesellschaft gemeinsam geben müssen.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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