Inland

Taupitz befürwortet assistierten Suizid bei Todkranken

Sein Gesetzentwurf zur Sterbehilfe hat Aufsehen erregt: Jochen Taupitz, Jurist für Medizinrecht und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, hat mit drei Kollegen Regeln zum „assistierten Suizid“ bei Todkranken durch Ärzte ausgearbeitet. Warum, erklärt er im Interview mit vorwärts.de
von Yvonne Holl · 9. September 2014
Auf der Palliativstation versorgen Ärzte und Pfleger Schwerstkranke und Sterbende.
Auf der Palliativstation versorgen Ärzte und Pfleger Schwerstkranke und Sterbende.

Herr Taupitz, Sie vermeiden den Begriff Sterbehilfe. Es ist von assistiertem Suizid die Rede. Warum? Geht es nicht darum, denen, die im Sterben besonders leiden, zu helfen?


Sie haben zum Teil Recht: Es geht um Sterbehilfe. Aber es geht nur um eine sehr spezifische Art der Sterbehilfe. Die Tötung auf Verlangen ist von unserem Entwurf nicht betroffen; sie soll weiterhin strafbar bleiben. Wir wollen auch nichts an der geltenden Rechtslage zum Sterbenlassen, das man früher passive Sterbehilfe genannt hat, ändern. Dabei wird einer tödlichen Krankheit ihr schicksalhafter Verlauf gelassen. Das Unterlassen von medizinischen Maßnahmen (also das Sterbenlassen) ist nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, wenn die betroffene Person die möglichen medizinischen Maßnahmen ablehnt. Und wir wollen auch nichts an der Zulässigkeit der so genannten indirekten Sterbehilfe ändern, bei der es um Schmerzlinderung geht und ein früherer Eintritt des Todes allenfalls unbeabsichtigte Folge ist. Da wir also nur die Beihilfe zum Suizid regeln wollen, die ja auch allein Gegenstand der aktuellen Diskussionen im politischen Raum ist, müssen wir uns natürlich – vor allem auch aus strafrechtlicher Sicht – exakt ausdrücken. Und das bedeutet, dass wir nicht allgemein von Sterbehilfe sprechen dürfen.



Politiker wie Gesundheitsminister Hermann Gröhe, Kirchenvertreter aber auch Mediziner wie der Präsident des Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery lehnen ihren Vorschlag ab. Diese Kritik kommt nicht unerwartet. Was hat Sie vier bewogen, Stellung zu beziehen?


Die Wissenschaft hat die wichtige Aufgabe, die Politik, aber auch die Gesellschaft insgesamt, zu beraten. Deshalb hielten wir es für unsere Pflicht, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Suizid und zur Beihilfe zum Suizid in der laufenden gesellschaftlichen Debatte publik zu machen. Insofern hoffen wir, dass nicht nur unser Gesetzesvorschlag als solcher, sondern insbesondere auch seine ausführliche Begründung zur Kenntnis genommen wird.

 


Welche Situationen aus dem Klinikalltag sind es, die Sie vermeiden wollen? 


Für den Klinikalltag wollen wir Rechtssicherheit herbeiführen. Wir wollen aber auch erreichen, dass die Menschen sich überhaupt trauen, einen Arzt anzusprechen – und von ihm dann lebensbejahend, insbesondere auch über palliativmedizinische Möglichkeiten, aufgeklärt und beraten werden. In vielen Fällen kann und soll diese Aufklärung und Beratung Suizide vermeiden.

 


Sie sagen, sie wollen Rechtssicherheit schaffen. Kommt denn Sterbehilfe häufig vor in Deutschland, obwohl Sie verboten ist?


Die Beihilfe zum Suizid ist nach Auffassung vieler Rechtswissenschaftler durch das Strafrecht nicht verboten. Das ärztliche Standesrecht ist regional sehr zersplittert – manche Ärztekammern verbieten ihren Mitgliedern die Beihilfe zum Suizid, andere nicht. Derartige regionale Unterschiede kann ein Patient doch nicht verstehen. Wie oft die Beihilfe zum Suizid in Deutschland praktiziert wird, weiß man nicht. Deshalb fordern wir eine angemessene Dokumentation, damit sich die Gesellschaft Rechenschaft ablegen kann über die Praxis und gegebenenfalls dort stattfindende Veränderungen.

 


Sie haben ein Gesetz aus dem US-Bundesstaat Oregon als Vorlage genommen. Warum? Auch europäische Staaten, etwa die Niederlande, haben gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe. 


Die Rechtslage in den Niederlangen geht uns viel zu weit. Dort ist auch die Tötung auf Verlangen erlaubt. Und nicht selten wird dort die Tötung sogar auf einen „mutmaßlichen“ Sterbewillen gestützt. Das ist für uns absolut unvorstellbar. Bei der Beihilfe zum Suizid, die Gegenstand unseres Gesetzesvorschlags ist, muss der Sterbewillige das tödliche Medikament selbst einnehmen – und dem steht eine ganz erhebliche psychologische Hemmschwelle entgegen. Es ist auch bezeichnend, dass in den Ländern, in denen sowohl die Beihilfe zum Suizid als auch die Tötung auf Verlangen zulässig sind, die Tötung auf Verlangen sehr viel häufiger durchgeführt wird als die bloße Beihilfe – mit steigender Tendenz. Dem wollen wir entgegen wirken.

 


Bestehen nicht bei einigen Patienten geistige Einschränkungen durch Medikamente oder Schmerzen, so dass unklar ist, ob sie sich der Tragweite der Entscheidung bewusst sind?


Wenn der fragliche Patient in seiner Willensbildung erheblich eingeschränkt ist, er also nicht „einwilligungsfähig“ ist, darf ihm keine Beihilfe zum Suizid geleistet werden. Das ist schon nach geltendem Recht so. Und daran wollen wir auch festhalten. Es ist die verantwortliche Aufgabe der beiden in die Beihilfe zum Suizid einbezogenen Ärzte, die Einwilligungsfähigkeit festzustellen und zu dokumentieren. 




Was ist mit schriftlichen Erklärungen, wie es für den Einsatz von lebensverlängernden Maßnahmen üblich ist?


Vorausverfügungen genügen nicht. Denn wie könnte bei ihrer Verwendung sicher gestellt werden, dass der Patient in dem Moment, in dem er das tödliche Medikament einnimmt, weiß, was er damit bewirkt, dass er nämlich über sein Leben verfügt? Im rechtlichen Sinne muss er im Moment der Einnahme des Medikaments die „Tatherrschaft“ innehaben – sonst liegt eine strafbare Fremdtötung, also die Tötung eines anderen Menschen vor.

 


Ärzte fürchten, in Konflikt mit ihrem Selbstverständnis als Arzt zu kommen. Wie sehen Sie das?


Unser Gesetzesvorschlag sieht ausdrücklich vor, dass kein Arzt verpflichtet ist, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Das bleibt seiner individuellen Gewissensentscheidung überlassen. Nach seriösen Umfangen sagen etwa 77 Prozent der Bürger, dass die ärztliche Beihilfe zum Suizid nicht unter Strafe gestellt werden sollte. Die Bürger haben offenbar großes Vertrauen in die Ärzteschaft und meinen, dass die Ärzteschaft sich der Beratung und Hilfe in einer für den Betroffenen existenziell wichtigen Frage nicht entziehen sollte. Auch 30 Prozent der Ärzte unterstützen nach einer Umfrage von 2009 eine gesetzliche Regelung, welche ihnen die ärztliche Suizidbeihilfe explizit erlaubt.  Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen auch, dass die ärztliche Beihilfe zum Suizid, wenn sie denn in einem angemessenen rechtlichen Rahmen stattfindet, das ärztliche Berufsethos nicht beeinträchtigt – so wie ja auch die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen das Selbstverständnis der Ärzteschaft nicht beschädigt hat.

Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz ist Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universitäten Heidelberg und Mannheim und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

 

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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