Inland

Tafel-Vorsitzender fordert mehr Unterstützung in Corona-Krise

Der Vorsitzende der Tafel, Jochen Brühl, fordert Besonnenheit in Zeiten der Krise. Er appelliert an Bürger*innen als auch Politiker*innen, den Schwächeren unter die Arme zu greifen und gerade jetzt die Tafeln stärker zu unterstützen.
von Laura Strübbe · 12. März 2020
Ehrenamtliche bei der Tafel - selbst Teil der Risikogruppe
Ehrenamtliche bei der Tafel - selbst Teil der Risikogruppe

Wo sich nun wieder zeigt, dass in Krisenzeiten sich jeder selbst der Nächste ist, haben Sie da den Glauben an die Menschheit stückweit verloren?

Nein das habe ich nicht. Es gibt über 60.000 Ehrenamtliche, die sich für die Tafel engagieren. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft sehen: da sind Menschen, die sich für andere einsetzen. Gleichzeitig dürfen Gesellschaft und Politik sich nicht auf jene verlassen, sondern sind gefordert, solche Ehrenamtsbewegungen wie die Tafel stärker in den Fokus zu rücken. Dennoch macht es mir Mut zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich in solchen Zeiten um andere kümmern, die von der Gesellschaft ausgegrenzt sind.

Eine Organisation wie die Tafel ist immer ein Hinweis darauf, dass es Überfluss und Mangel gibt und offensichtlich Menschen, die zu wenig haben, während andere reichlich von allem haben. Ambivalent zu sehen ist, dass Menschen Lebensmittel zu Hause horten, aus einer Sorge heraus, während andere aufgrund dieses Verhaltens zu wenig haben. Es dreht sich um Gleichzeitigkeiten, dass wir für uns sorgen aber auch erkennen, dass wir nicht allein auf der Welt sind.

Wirkt das Virus auch außerhalb der Nahrungsmittelknappheit auf die Tafel ein?

Tafel sind nicht nur Orte der Lebensmittelabgabe, sondern auch solche der Begegnung. Es kommen dort viele Menschen zusammen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage abgehängt und auch vereinsamt sind. Nun wird Fürsorgen auf einmal so aussehen, dass wir und räumlich voneinander entfernen. Für Kund*innen der Tafel, die vor Ort Kontakte pflegen, die sie aus ihrer Einsamkeit herausholen, ist dies doppelt so schwierig. Orte der Begegnung fallen plötzlich weg. Dazu kommt, dass die Risikogruppen auf die Tafel doppelt zutreffen: das sind einerseits die Helfer*innen, die meistens schon im Rentenalter sind, und die Rentner*innen als Kund*innen, deren Zahl im letzten Jahr um 20 Prozent gestiegen ist. Die Unterstützung mit Lebensmitteln gestaltet somit sich schwierig, da die Kund*innen aus Angst oder da sie selbst zu Risikogruppe gehören zu Hause bleiben, Tafeln schließen oder es nur ein beschränktes Angebot gibt – keinen Kaffee und kein Mittag.

Gibt es Möglichkeiten der Reaktion auf die Notlage?

Die Tafel ist eine Bürgerbewegung und gerade solche legen Missstände offen. Gleichzeitig mobilisieren sie Menschen, sich füreinander einzusetzen. Unser Angebot beruht auf Freiwilligkeit, dennoch braucht es Unterstützung, finanziell sowie in den Strukturen. Wir wünschen uns, dass es auch für solche Organisationen, die um das Wohl der schwächsten in der Gesellschaft bedacht sind, einen Fond gibt. Es ist nicht immer damit getan, auf die Schulter zu klopfen.

Die Politik und explizit die SPD sollte sich fragen: Was können wir für die Tafel tun, damit solch eine Situation bewältigt werden kann? Natürlich können Großsammelaktionen gestartet werden. Wichtig ist aber nicht, die nächsten zwei Wochen intensiv Lebensmittel zu sammeln, sondern auch jene zu finden, die bereit sind, für Ehrenamtliche zeitweilig einzuspringen. Gibt es Leute, die bei der örtlichen Tafel anrufen, und einfach fragen: Was kann ich für euch tun? Mein Appell ist einerseits gesellschaftlich andererseits politisch. Wir wollen für unsere Arbeit keine Orden verliehen bekommen!

Sehen Sie Wege auf das egoistische Verhalten der Menschen in Situationen der Panik einzuwirken?

Man mus die jetzige Situation ernst nehmen und den Empfehlungen von Seiten der Politik Folge leisten. Dennoch sollte man nicht nur auf sich schauen, sondern auch den anderen im Blick haben. Vielleicht kann man der Rentner*in den mitgebrachten Einkauf vor die Tür stellen, sodass man dieser Ausnahmesituation mit Kreativität begegnet. Gleichzeitige Besonnenheit ist das Stichwort, sich fragen: Was kann ich innerhalb meiner Möglichkeiten, für die Menschen tun, die weniger Freiheiten haben als ich? Und lieber einmal zu viel anrufen, als dass man sich verkriecht. Krisen geben auch immer Chancen, neue Wege der kreativen Sorgen umeinander zu finden. Manchmal reicht ein Anruf und es wird ein Ort der Begegnung aufrechterhalten.

Autor*in
Laura Strübbe

studiert Deutsche Literatur und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Praktikantin beim vorwärts.

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