Inland

Stuttgarter Erklärung: Innenminister*innen gegen Hass und Hetze

Die Innenminister*innen der Länder machen mobil gegen die zunehmenden Hassdelikte in Deutschland. Dazu haben sie einen Maßnahmenkatalog beschlossen. Er soll Betroffene besser schützen und Straftäter*innen effektiver zur Verantwortung ziehen.
von Lars Haferkamp · 3. Dezember 2021
Der Antisemitismus in Deutschland wächst – trotz regelmäßiger Erinnerung an den Holocaust in der NS-Zeit, wie hier in Berlin-Grunewald am Gedenkort für deportierte und ermordete Berliner Juden am Gleis 17.
Der Antisemitismus in Deutschland wächst – trotz regelmäßiger Erinnerung an den Holocaust in der NS-Zeit, wie hier in Berlin-Grunewald am Gedenkort für deportierte und ermordete Berliner Juden am Gleis 17.

Auf der Innenministerkonferenz der Länder (IMK) haben die Innenminister*innen am Donnerstag einen Maßnahmenkatalog gegen wachsenden Antisemitismus sowie gegen Hass und Hetze in Deutschland beschlossen. In ihrer „Stuttgarter Erklärung“ wollen die Minister*innen „jeglicher Form von Hass und Hetze gemeinsam die Stirn“ bieten – „online und offline“. Für die SPD-geführten Länder unterzeichnete Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius die Erklärung.

Straftäter*innen im Internet identifizieren

Da besonders im Internet antisemitische und hasserfüllte Propaganda zunimmt, planen die Innenminister gesetzliche Regelungen, „die eine eindeutige Identifizierbarkeit von Straftäterinnen und Straftätern im Internet ermöglichen“. Das Internet dürfe nicht als rechtsfreier Raum missverstanden werden, die „Verrohung der Kommunikation in den sozialen Netzwerken“ müsse gestoppt werden.

„Hohe Priorität“ hat für die Innenminister*innen die Steigerung sowohl der objektiven Sicherheit als auch des subjektiven Sicherheitsgefühls der jüdischen Bürger*innen in Deutschland. Dafür sei ein regelmäßiger vertrauensvoller Austausch zwischen den jüdischen Gemeinden und den örtlich zuständigen Polizeidienststellen unabdingbar. Um antisemitische Straftaten effektiv verfolgen zu können, sollen die polizeilichen Ermittlungen in der Regel durch die Staatsschutzdienststellen der Kriminalpolizei geführt werden. In der polizeilichen Aus- und Fortbildung soll künftig auch für andere von Hass und Hetze betroffene Bevölkerungsgruppen „eine hohe Sensibilität erzielt werden“, wie etwa für die LSBTI-Gemeinschaft.

Großer Handlungsbedarf bei sozialen Netzwerken

Um den ansteigenden Fällen von Hass und Hetze in sozialen Netzwerken zu begegnen, sollen die Anbieter der Netzwerke durch neue Regelungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichtet werden, „innerhalb kurzer Zeit“ tätig zu werden, sobald sie von rechtswidrigen Inhalten erfahren. Ab 1. Februar 2022 sind die Anbieter verpflichtet, bestimmte strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt (BKA) zu melden. Darüber hinaus soll geprüft werden, wie Hass und Hetze auch auf Messengerdiensten unterbunden und bestraft werden können. Sofern noch nicht vorhanden, sollen Meldestrukturen für Hasskriminalität im Internet geschaffen werden. So sollen effiziente Möglichkeiten der Anzeigenerstattung und zentrale Meldestellen entstehen.

Bestehende Präventionsprogramme zum couragierten Verhalten im Internet sollen nach dem Willen der Innenminister*innen weiterentwickelt werden. So sollen besonders jungen Menschen die Folgen von hasserfüllten oder beleidigenden Aussagen gegen Einzelne oder Minderheiten aufgezeigt und ihre Medienkompetenz gestärkt werden. Für Menschen oder Gruppen, die etwa „aufgrund ihrer Funktion, Religion, Sexualität, Herkunft oder ihres Geschlechts regelmäßig Ziel von Hass und Hetze werden, müssen passgenaue Präventionskonzepte erarbeitet und weiterentwickelt werden, um ihnen Hilfe und Unterstützung im Umgang damit anzubieten“, so die Minister*innen in ihrer Stuttgarter Erklärung.

Beschluss gegen LSBTI-Feindlichkeit

Am Freitag beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) darüber hinaus, Hetze und Gewalt gegen LSBTI stärker zu bekämpfen. Der Beschluss geht zurück auf einen Vorschlag der SPD-geführten Länder Berlin und Hamburg. Danach soll im Bundesinnenministerium ein unabhängiges Sachverständigengremium eingerichtet werden, dass gemeinsam mit der queeren Community konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten soll.

Das Bundeskriminalamt zählte 2020 bundesweit rund 800 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung. Das ist ein Anstieg um mehr als ein Drittel gegenüber dem Vorjahr. Die Innenminister*innen gehen jedoch von einer sehr hohen Dunkelziffer bei den Übergriffen aus. Danach werden 90 Prozent der Angriffe überhaupt nicht angezeigt.

Andy Grote: Homo- und Transphobien geht alle an

Hamburgs SPD-Innensenator Andy Grote betonte, Homophobie und transfeindliche Gewalt gingen alle an. „Wir können es in einer liberalen offenen Gesellschaft nicht dulden, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung angefeindet, bedroht und angegriffen werden und sich zum Teil nicht mehr frei und ohne Angst in der Öffentlichkeit bewegen können.“

SPDqueer-Chef Oliver Strotzer begrüßte den Beschluss der IMK. „Es wurde Zeit, das queerfeindliche Straftaten endlich mehr Beachtung durch die deutsche Innenpolitik erhalten und diese unerträgliche Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern endlich ein Ende findet.“ Strotzer erklärte weiter, „die Täter müssen wissen, dass sie mit ihrer Menschenverachtung nicht durchkommen und queere Menschen in unserem Land gleiche Rechte und vollen Schutz genießen“. SPDqueer fordert seit Jahren einen konkreten Aktionsplan der Politik gegen LSBTI-Feindlichkeit in Deutschland.

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