Studie: Kraftstoffverbrauch von Neuwagen in Europa übersteigt Herstellerangaben deutlich
Florian Gaertner/photothek.net
Seit 2015 horcht die Öffentlichkeit genau hin, wenn die unabhängige und gemeinnützige ICCT (Internationaler Rat für sauberen Verkehr) aus den USA eine neue Studie vorstellt: Damals war durch eine 2013 gestartete Untersuchung bekannt geworden, dass der Schadstoffausstoß mehrerer VW-Fahrzeuge weit über den gesetzlich erlaubten Grenzwerten lag. Spezielle Software verschleierte diese Tatsache und manipulierte damit Testergebnisse – der "Dieselskandal" nahm seinen Lauf. Nun folgt mit einer Untersuchung zum tatsächlichen Kraftstoffverbrauch von Neuwagen in der EU durch die ICCT der nächste Streich:
Den am Montag veröffentlichten Ergebnissen zufolge liege der Kraftstoffverbrauch von Neuwagen in Europa im Schnitt 42 Prozent über den Herstellerangaben. Diese Kluft sei dem Bericht zufolge so groß wie nie: Eine Untersuchung zum gleichen Thema aus dem Jahr 2013 habe noch eine Differenz von 25 Prozent ergeben.
Das bedeute nicht nur Mehrkosten von rund 400 Euro für die Verbraucher, sondern auch eine stärkere Belastung von Umwelt und Klima durch erhöhten Ausstoß von CO2 und anderer schädlicher Abgase. Die Ergebnisse basieren auf der Auswertung der Verbrauchsdaten von 1,1 Millionen Fahrzeugen aus acht europäischen Ländern. Die ICCT fordert daher europaweite Sanktionsmöglichkeiten, damit Hersteller für Falschangaben und Manipulationen bestraft werden können.
SPD: Bessere Kontrollverfahren müssen her
Das fordert auch die SPD, wie die Bundestagsabgeordnete und Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann im Gespräch mit dem vorwärts erklärt. Vor allem brauche es Lühmann zufolge aber eine vernünftige Regelung der Zulassungs- und Kontrollverfahren auf europäischer Ebene: Als Beispiel nennt sie einen aktuellen Streit um die Zulassung eines neuen Fiat-Modells in Deutschland – aller Wahrscheinlichkeit nach seiendie Testwerte manipuliert, die italienische Seite wolle aber keine relevanten Unterlagen herausrücken. In solchen Fällen führe die Europäische Kommission bisher ein "moderiertes Gespräch", das oft ergebnislos bleibe – beide Seiten würden auf ihrer Position beharren.
Die SPD fordere daher eine "Letztentscheidungskompetenz" über die Zulassung durch das jeweilige Mitgliedsland. "Die Regeln und Grenzwerte sind gut", sagt Lühmann, es komme vor allem auf deren Durchsetzung und die dafür notwendigen Kontrollen an. Den Vorschlag der Kommission eines TÜV’s für nationale Zulassungsstellen lehnt sie ab – dann werde eben nur sauber gearbeitet, wenn der Kontrolleur vorbeischaue. Effektivere Lösungen würden vor allem von osteuropäischen EU-Staaten blockiert.
An die wahrscheinliche künftige Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen appelliert sie daher auch, in dem Bereich tätig zu werden. "Die Grünen haben zusammen mit uns immer auf bessere Kontrollmöglichkeiten gedrängt", sagt sie. Nun will Lühmann die Partei auch entsprechend beim Wort nehmen.
Testverfahren in der Kritik
Das Ergebnis der neuen ICCT-Untersuchung von im Schnitt 42% Abweichung, das aktuell durch die Medien gehen, hält Lühmann allerdings für irreführend: Die von dem Standard-Testverfahren NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) vor der Zulassung eines Neuwagens ermittelten Werte würden prinzipiell stark vom tatsächlichen Verbrauch eines Neuwagens abweichen.
In der Tat steht das Verfahren steht seit längerem in der Kritik, weil die Laborbedingungen unrealistisch und veraltet seien. Der NEFZ wurde zuletzt 1997 überarbeitet. Seit September dieses Jahrs gelten die Richtlinien des neuen Verfahrens WTLP für Neuzulassungen, ab 2018 für alle Fahrzeuge. Das geben auch die Autoren der Studie zu, deren Ergebnisse noch auf dem alten Verfahren basieren: Das ICCT erwartet, dass sich der Unterschied zwischen den Messwerten und dem realen Verbrauch durch das neue Verfahren im Schnitt halbieren wird. Kirsten Lühmann fordert zusätzlich zum neuen Verfahren auch echte Praxistests für die Messung von Verbrauch und Emissionen von Fahrzeugen.
ist bis zum 1. Dezember 2017 Praktikant in der Redaktion des vorwärts. Der gebürtige Hamburger studiert Politikwissenschaft im Master an der Freien Universität Berlin.