Studie: Der Mindestlohn und das Märchen von der Arbeitslosigkeit
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Zum 1. Oktober wird der Mindestlohn in Deutschland auf zwölf Euro steigen, Verbände von Arbeitgeber*innen kritisierten die Gehaltserhöhung im Niedriglohnsektor, warnten vor Risiken und Folgewirkungen. Argumente, wie sie teils schon zur Einführung des Mindestlohns 2015 angeführt wurden. Ob sie sich bewahrheitet haben, hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sich nun im Auftrag der Mindestlohnkommission angeschaut. Untersucht wurden die Auswirkungen des allgemeinen Mindestlohn auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.
Die Auswertung zeigt: Einige düstere Prognosen haben sich nicht erfüllt. So haben die Studien-Autor*innen weder eine Zunahme der Arbeitslosigkeit in dem betroffenen Arbeitsmarktbereich festgestellt, noch gingen überdurchschnittlich viele Unternehmen konkurs. Im Gegenteil gab es sogar eindeutigen positiven Effekt zu beobachten.
Arbeitslosigkeit nicht gestiegen
Die Forschenden haben sich vorrangig Unternehmen angeschaut, für die der flächendeckende Mindestlohn direkt oder indirekt eine große Rolle spielt – also Betriebe, die entweder Menschen nach Mindestlohn bezahlen oder von solchen Betrieben abhängig sind. In beiden Fällen bedeutete der Mindestlohn vor allem erstmal eines: steigende Kosten. „Wenn diese Kostensteigerungen nicht durch Preisanpassungen aufgefangen werden können, kann sich ein negativer Effekt auf die ökonomische Profitabilität dieser Unternehmen ergeben“, erklären die Autor*innen der Studie. Bis hin zu dem Ergebnis, dass die Betriebe „aus dem Markt austreten“, wie es in der Fachsprache heißt, in der Regel ist das dann eine Insolvenz.
Die Zahl dieser „Marktaustritte“ nahm der Untersuchung zufolge nach Einführung des Mindestlohns aber nur bei sehr kleinen Betrieben mit wenigen Beschäftigten zu. Weitere negative Auswirkungen, beispielsweise eine durch den Mindestlohn steigende Arbeitslosigkeit, identifizieren die Ökonom*innen nicht.
Positiv: Steigende Produktivität
In derselben Zeitspanne sei im Schnitt aber auch die Produktivität gestiegen: Unternehmen arbeiteten effizienter und produzierten mit den Mitarbeitenden, die sie haben, mehr. Die Wettbewerbsfähigkeit wurde also insgesamt gefördert, so die Schlussfolgerung.
Auch die Erhöhung des Mindestlohns 2017 hat demnach an diesem Trend nichts geändert. Diese fiel damals allerdings nur gering aus, worauf in der Studie ebenfalls hingewiesen wird: 2017 stieg der Mindestlohn erstmalig von 8,50 auf 8,84 Euro, erst in den Folgejahren stieg er in mehreren Stufen auf die jetzt gültigen 10,45 Euro.
Ob die Betriebe dadurch gleichzeitig profitabler wurden, darüber machen die Autor*innen indes keine Aussage – und verweisen auf fehlende Daten, beispielsweise mit Blick auf die Gewinne der Unternehmen.
Corona: Mindestlohnsektor stärker betroffen
Inwiefern die Branchen, in denen Beschäftigte nach Mindestlohn bezahlt wurden, von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind, wird von der Studie bewusst ausgelassen. „Letztendlich werden die Wettbewerbseffekte auch davon abhängen, wie lange die Marktwirtschaft weiterhin unter den erschwerten Bedingungen einer Pandemie operieren muss“, heißt es zum Abschluss in der über 200 Seiten starken Untersuchung.
Andere Untersuchungen, auf die die Forscher*innen verweisen, geben aber zumindest Hinweise: Mit dem Auslaufen der staatlichen Hilfsprogramme könnten Insolvenzen zunehmen. Auch waren wohl Branchen im Mindestlohn-Bereich stärker von der Pandemie betroffen, beantragten häufiger Kurzarbeit, reduzierten öfter den Arbeitsumfang.
Die Autor*innen haben sich nach eigenen Angaben vor allem die Kennzahlen bis ins Jahr 2017 angeschaut. Die Begründung: Manche Effekte könnten erst nach einigen Jahren sichtbar werden, die Ergebnisse der Studie sollten dadurch nicht verzerrt werden.