Steuerüberschüsse: Warum der Staat jetzt mehr investieren muss
Paul Eckenroth/JOKER
Eine der zentralen wirtschaftspolitischen Fragen im Bundestagswahlkampf wird sein, wie Deutschland mit den Überschüssen im Staatshaushalt umgehen soll: Mehr Investitionen fordern die einen, massive Senkungen der Einkommensteuer die anderen. Doch so beliebt die Forderung nach niedrigeren Steuern ist: Ökonomisch und sozial sind Mehrausgaben bei den Investitionen derzeit klar die bessere Politik.
Seit rund anderthalb Jahrzehnten investiert die öffentliche Hand in Deutschland weniger, als durch den Gebrauch der Infrastruktur abgenutzt wird. Mit anderen Worten: Unsere Schulen, Straßen und Brücken verfallen. Wegen der fehlenden Instandsetzung entspricht unsere öffentliche Infrastruktur inzwischen gerade einmal dem, was wir bereits Mitte der 1990er Jahre hatten – obwohl die Wirtschaftsleistung heute um ein Drittel größer ist. Wir versuchen, eine Volkswirtschaft für das 21. Jahrhundert mit der Infrastruktur der 1990er Jahre zu betreiben.
Diese Versäumnisse haben längst greifbare Konsequenzen: Stauzeiten und Staulängen haben deutlich zugenommen. Nach einer Umfrage des Handwerksverbandes Nordrhein-Westfalen verlieren die Handwerker an Rhein und Ruhr in der Woche acht Stunden wegen maroder Straßeninfrastruktur. Diese verlorenen Stauzeiten sind Zeiten, in denen die Kleinunternehmer eben gerade keinen Kundenauftrag ausführen können, keinen Kurzschluss beheben und keine Maschine reparieren können. Kein Wunder, dass derzeit die gemessene Produktivität der deutschen Wirtschaft nur noch im Schneckentempo zulegt.
Mehr Investitionen in Bildung
Mehr Investitionen in öffentliche Infrastruktur und Bildung würden diese Probleme lösen. Durch den zu erwartenden Wachstumsimpuls aus den öffentlichen Investitionen verbessern diese dabei sogar die Tragfähigkeit der öffentlichen Schulden: Weil die Wirtschaft dank der Investitionen mittel- und langfristig schneller wächst, fällt die Schuldenquote relativ zum Bruttoinlandsprodukt und die Schuldenlast wird weniger drückend.
Eine Senkung der Einkommensteuer hat all diese Vorteile nicht: Zwar würde eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger einen einmaligen Konsumschub auslösen. Das Fundament unserer Volkswirtschaft würde aber nicht verbessert. Mittel- und langfristig wäre kaum mit mehr Wachstum zu rechnen. Die Probleme schwacher Produktivität blieben bestehen.
Befürworter einer Einkommensteuersenkung verweisen gern auf all jene, die sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt fühlen und die sich nun zunehmend Populisten wie der AfD zuwenden. Um diese Bevölkerungsgruppe am wachsenden Wohlstand teilhaben zu lassen, müsse man die Steuern senken.
Das Problem an diesem Argument ist, dass nur wenige Menschen in Deutschland wirklich viel Einkommensteuer zahlen. Wegen hoher Freibeträge und niedriger Einkommen zahlt etwa die Hälfte der deutschen Haushalte überhaupt keine Einkommensteuer. Bei niedrigen und mittleren Einkommen schmälern vor allem Sozialabgaben die Nettoeinkommen, nicht die Einkommensteuer. Steuersenkungen kämen nur der reicheren Hälfte zugute, und dort überproportional jenen, die wegen hoher Einkommen auch hohe Steuern zahlen.
Mehrausgaben für Infrastruktur und Bildung dagegen kämen der gesamten Bevölkerung zugute – und besonders den ärmeren Bevölkerungsschichten. Denn anders als die Reichen können diese Menschen es sich nicht leisten, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken, wenn es in öffentliche Schulgebäude hineinregnet und Lehrerstellen unbesetzt bleiben.
Wachstum braucht Investitionen
Ein anderes, häufig geäußertes Argument gegen mehr Investitionsausgaben ist, dass schon heute die Mittel für Investitionen nicht abgerufen würden, weil in den Verwaltungen die Planungs- und Umsetzungskapazitäten für Investitionen fehlten. Das kann aber kein Argument für Investitionszurückhaltung sein: Selbst nach den jüngsten Aufstockungen der Investitionsmittel im Bundeshaushalt 2017 machen diese gerade einmal die natürliche Abnutzung wett. Wenn Deutschlands Wirtschaft in Zukunft weiter wachsen soll, dann muss auch der öffentliche Kapitalstock weiter wachsen. Wenn dafür die Verwaltungskapazitäten nicht reichen, dann müssen eben neue Stellen geschaffen werden. Jedes Unternehmen, das in der Vergangenheit zu viel Personal im Einkauf eingespart hat, würde bei wachsenden Umsätzen das Gleiche tun.
Wie man es dreht und wendet: Es spricht alles für ein kräftiges Plus bei den öffentlichen Investitionen in Deutschland, aber sehr wenig für massive Steuersenkungen. Aufgabe der Sozialdemokraten ist es, diese Wahrheit im Wahlkampf offensiv zu verbreiten.
ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.