Am Dienstag haben elf europäische Staaten die Einführung einer Finanztransaktionssteuer beschlossen. Der südafrikanische Theologe Erzbischof Ndungane fordert, einen Teil der Einnahmen aus dieser Steuerabgabe für weltweite Armutsbekämpfung einzusetzen. Nur so könne in Afrika die nächste große Krise abgewendet werden, sagt der Nachfolger von Desmond Tutu.
Unter den mächtigen Staats- und Regierungschefs dieser Welt herrscht der gefährliche Glaube vor, Afrika sei auf wundersame Weise von den Auswirkungen der Finanzkrise verschont geblieben. Die Realität sieht jedoch anders aus.
Tatsächlich ist es ein ermutigendes Zeichen, dass das wirtschaftliche Wachstum des afrikanischen Kontinents in den letzten Jahren auf einem bemerkenswert hohen Niveau verlief. Diese Entwicklung war jedoch trotz der durch die globale Rezession verursachten Probleme möglich; nicht jedoch, weil Afrika gegen die Krise immun wäre.
Weniger Geld für Bildung und Gesundheit
Von Kairo bis zu meiner Heimat Kapstadt ist die afrikanische Bevölkerung von regressivem Handelsvolumen, sinkenden ausländischen Investitionen und, in einigen Fällen, von einem erheblichen Rückgang der finanziellen Unterstützung von im Ausland lebenden Familienmitgliedern, hart getroffen.
Untersuchungen der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam zeigen, dass die ersten zwei Jahre der Finanzkrise die ärmsten 56 Länder der Welt – in der Mehrheit afrikanische Länder – insgesamt 65 Milliarden US-Dollar gekostet haben. Viele dieser Länder waren dadurch gezwungen, die Staatsausgabe für Gesundheitsfürsorge, Bildung oder die Unterstützung für arme Bauern massiv zu kürzen. Auch mussten bereits anderweitig verbuchte oder geliehene Gelder verwendet werden, um die ökonomische und soziale Schieflage abzumildern.
Selbst die Weltbank musste vor kurzem anerkennen, dass die meisten afrikanischen Staaten ihre Möglichkeiten zum Schutz der eigenen Bevölkerung vor den Auswirkungen der globalen ökonomischen Krise ausgeschöpft haben. Vor dem Hintergrund eines sich tief in der Krise befindenden Europas und eines rückläufigen Wachstums in den Schwellenländern ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis den afrikanischen Kontinent eine neue Krise trifft.
Finanzielle Einbußen von 238 Milliarden US-Dollar
Nach Schätzungen des britischen Think Tanks Overseas Development Institute werden sich die Entwicklungsländer in den Jahren 2012 und 2013 finanzielle Einbußen von insgesamt 238 Milliarden US-Dollar gegenübersehen. Ursächlich dafür sind schrumpfende Handelsvolumen und rückläufige Investitionen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit.
Dies wirft wichtige moralische Fragen auf: Warum sollen die Menschen in Nairobi für das Verhalten der Banker in New York bezahlen? Warum soll das Scheitern einer europäischen Währung bedeuten, dass afrikanische Regierungen weniger Spielraum haben, um auf eine Dürre zu reagieren und eine drohende Hungersnot abzuwenden?
Die Antwort ist einfach: Sie sollten es nicht! Die Verursacher der Krise – die reichen Länder – müssen nun auch dafür Sorge tragen, dass arme Länder vor den Auswirkungen der Krise geschützt werden. Doch das Gegenteil passiert: Die Austeritätspolitik, die bisher wenig zur Entschärfung der wirtschaftlichen Situation beigetragen hat, führte im letzten Jahr dazu, dass die Etats für Entwicklungszusammenarbeit erstmals seit 14 Jahren gekürzt wurden.
Wie können arme Länder vor den Auswirkungen der Finanzkrise geschützt werden?
Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben nun allerdings die Möglichkeit, wenigstens etwas von dem verursachten Schaden wieder gut zu machen: Am 12. Dezember 2012 stimmte das EU-Parlament der Einführung einer Finanztransaktionssteuer im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeitin zunächst elf europäischen Ländern zu, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien.
Dieses Votum ist ganz im Sinne der internationalen Kampagne, die unter dem Namen Steuer gegen Armut bzw. Robin Hood Tax bekannt wurde. Ihre Unterstützer fordern, die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer für globale Armutsbekämpfung und den Schutz der Menschen vor den Folgen des Klimawandels einzusetzen. Unterstützt wird die Kampagne von Millionen Menschen weltweit unter anderem von Desmond Tutu, meinem Vorgänger im Amt des Erzbischofs von Kapstadt, dem ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Anan, dem Vatikan, dem Erzbischof von Canterbury, Bill Gates sowie über 1000 Ökonomen und 50 führenden Financiers.
Es macht Hoffnung, dass es selbst in Krisenzeiten eine so große Unterstützung gibt, von einer Bevölkerung, die wie ich daran glaubt, dass Gerechtigkeit für die ärmsten Menschen der Welt immer eine Priorität sein muss.
Finanztransaktionssteuer für Armutsbekämpfung
Obwohl im letzten Jahr bereits viel erreicht wurde, ist die Kampagne Steuer gegen Armut mit ihrer Forderung noch nicht an ihrem Ziel angelangt. In der gegenwärtigen Situation, in der Griechenland einen wirtschaftlichen Zusammenbruch erleidet und auch andere europäische Staaten ins Wanken geraten, stehen die europäischen Staats- und Regierungschefs unter Druck, Einnahmen für die Konsolidierung der eigenen defizitären Haushalte zu generieren. Es bleibt eine große Herausforderung sicherzustellen, dass ein signifikanter Teil der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer für Armutsbekämpfung jenseits der europäischen Grenzen verwendet wird.
Die Finanztransaktionssteuer bietet den europäischen Staats- und Regierungschefs eine reale Chance, ihrer bis dato nicht wahrgenommenen globalen Verantwortung gerecht zu werden. Es ist nun über 40 Jahre her, dass viele europäische Staaten das Versprechen gegeben haben, den Entwicklungsetat auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen.
Erst im Jahr 2005 wurde dieses Versprechen nochmals bekräftigt. Bislang jedoch bleibt es bei einem bloßen Versprechen (lediglich von Großbritannien, dass die Finanztransaktionssteuer bisher nicht unterstützt, wird erwartet, dass das Ziel 2013 erreicht wird). Die Milliarden, die aufgrund des nicht eingelösten Versprechens fehlen, würden für die afrikanischen Staaten jedoch einen drastischen Unterschied beim Umgang mit den Folgen der europäischen Wirtschaftskrise machen.
In der jüngsten Vergangenheit gab es bereits positive Anzeichen dafür, dass zumindest einige europäische Politiker beginnen, dies zu verstehen. Auf dem letzten G20-Gipfel in Rio sprachen sich Frankreichs Präsident Hollande und der Präsident der europäischen Kommission Barroso dafür aus, dass zumindest ein Teil der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer für weltweite Armutsbekämpfung eingesetzt wird.
Nun müssen den Worten Taten folgen.
Wenn sinkende Exporte, einbrechender Handel und Kürzungen der Entwicklungsetats nicht durch neue Finanzierungsquellen ersetzt werden, wird dies zuerst die Ärmsten der afrikanischen Bevölkerung treffen; das heißt vor allem diejenigen, die schon jetzt nur mangelhaften Zugang zu medizinischer Fürsorge haben oder auf subventioniertes Saatgut und Dünger angewiesen sind, um ihre Familien zu ernähren.
Es wäre richtig und gerecht, wenn der Finanzsektor, der solch große Verantwortung für die ökonomische Krise trägt, Afrika nun dabei helfen würde, die nächste große Krise abzuwenden.
Ssüdafrikanischer Theologe, als Nachfolger von Desmond Tutu war er von 1996 bis 2007 Erzbischof von Kapstadt und Primas der anglikanischen Church of South Africa.